Leichathletik-WM in Daegu:Bolt, Pistorius und eine springende Barbie

Leichtathletik ist eine höchst verwirrende Sportart: Bei der WM in Daegu treten 1945 Athleten aus 202 Ländern an, die Männer kämpfen in 24 Disziplinen, die Frauen in 23 um Medaillen. Wer soll da den Überblick behalten? Und: Wer wird gewinnen, außer Usain Bolt? Wir stellen die potenziellen Helden dieser WM vor.

Thomas Hummel

1 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Blanka Vlasic

Vlasic: Muskelverletzung gefaehrdet WM-Start

Quelle: dapd

Leichtathletik ist eine höchst verwirrende Sportart: Bei der WM in Daegu treten 1945 Athleten aus 202 Ländern an, die Männer kämpfen in 24 Disziplinen, die Frauen in 23 um Medaillen. Wer soll da den Überblick behalten? Und: Wer wird gewinnen, außer Usain Bolt?

Inmitten des ständigen Hin und Her zwischen Kugelstoß-Vorkampf, 10.000 Meter Endlauf und Stabhochsprung-Qualifikation sucht die Öffentlichkeit nach Orientierung, nach Wiedererkennung. Und findet sie wie so oft in Helden und auffälligen Persönlichkeiten. Dies sind die Gesichter der Leichtathletik, auf die die Welt in der kommenden Woche blicken wird.

Blanka Vlasic

Wer soll diese Frau im Hochsprung schlagen? Die Antwort ist einfach: Blanka Vlasic selbst. Die hochfavorisierte Welt- und Europameisterin aus Kroatien reist alles andere als fit, stattdessen mit einer Muskelverletzung  zur WM. Sie sagte: "Vor ein paar Tagen habe ich nur 24 Sprünge im Training geschafft und wollte schon für die WM absagen, aber mit dieser Entscheidung konnte ich auch nur zwölf Stunden leben." Dann änderte sie ihre Meinung: "Ich fahre zur Weltmeisterschaft. Entweder ich gewinne, oder ich gehe mit fliegenden Fahnen unter." Es wäre ihr WM-Hattrick.

Vlasic, 27, hat auch noch ein anderes Ziel vor Augen. Im Juni, bei einem Turnier in Split, hatte Vlasic zum 99. Mal in ihrer Karriere einen Wettkampf mit mindestens zwei Metern beendet. In Daegu soll nun die "100" fallen - wenn Vlasic denn nur fit genug dafür ist.

2 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Caster Semenya

Caster Semenya

Quelle: dpa

Vor zwei Jahren wurde aus der damals 18-jährigen Südafrikanerin eine Berühmtheit. Es lag weniger daran, dass sie den WM-Endlauf in Berlin über 800 Meter souverän gewann, sondern am öffentlich gewordenen Zweifel an ihrem Geschlecht. Caster Semenya sollte plötzlich keine Frau mehr sein, und dieser Verdacht sorgte in Berlin 2009 für wahre Tumulte.

Die Debatten werden die heute 20-Jährige auch in Südkorea begleiten. Offiziell bestätigt ist zwar nichts, aber sie musste sich wohl einer Hormonbehandlung unterziehen, um weiterhin bei den Frauen starten zu dürfen. An ihre Zeit von Berlin (1:55,45 Minuten) kam sie nach ihrer Rückkehr in den Wettkampfsport nicht mehr heran, in diesem Jahr liegt ihre Bestzeit um drei Sekunden darüber. Gerüchte drangen durch die Szene, sie hätte Gewichtsprobleme und sich mit ihrem Trainer Michael Seme zerstritten.

3 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Oscar Pistorius

Stelzenlaeufer Pistorius hofft auf Halbfinale

Quelle: dapd

Der 24-Jährige aus Johannesburg ist eine echte Weltneuheit in der Leichtathletik: Als erster Mensch mit Behinderung darf Oscar Pistorius bei einer Leichtathletik-WM antreten. "Ich habe so lange davon geträumt, einmal bei einer großen Meisterschaft starten zu können", sagte er.

Einige Jahre dauerte sein Kampf, um eine Starterlaubnis zu bekommen. Wegen eines Gendefekts wurden ihm im Alter von elf Monaten die Beine unterhalb der Knie amputiert. Durch Prothesen aus Karbon ist er in der Lage zu laufen. Die Diskussion, ob ihm diese speziellen Prothesen einen Vorteil gegenüber gesunden Läufern verschaffe, beschäftigte jahrelang die Sportjustiz.

2007 verbot ihm der Weltverband IAAF, gegen nicht-behinderte Athleten zu laufen. 2008 hob der Internationale Sportgerichtshof CAS dieses Urteil wieder auf. Mit 45,07 Sekunden schaffte Pistorius diesmal die WM-Norm, als 18. der Weltjahresbestenliste kommt er zur WM. Und als eine ihrer größten Attraktionen.

4 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:David Rudisha

-

Quelle: AFP

David Rudisha ist ein hochinteressanter Mann. Der Kenianer hält schließlich den Weltrekord über 800 Meter, ist einer der Topfavoriten - hat aber noch keinen großen Titel gewonnen. Bei der WM 2009 in Berlin schied er überraschend im Halbfinale aus, auch bei Olympischen Spielen trat er noch nicht groß in Erscheinung. Dabei hat er sogar familiären Anreiz: Sein Vater Daniel gewann 1968 olympisches Silber - wenn auch nur mit der kenianischen Staffel.

Rudisha will derlei Diskussionen in Daegu nun ein Ende bereiten. Er will endlich seinen ersten wichtigen Titel - denn auch Rudisha weiß: "Wenn man einen Titel gewonnen hat, dann erinnern sich die Leute an einen."

5 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Kenenisa Bekele

81972697

Quelle: AFP

Eine der verrücktesten Geschichten der WM liefert Kenenisa Bekele. Der Äthiopier hat schon so gut wie alles gewonnen: Er ist dreifacher Olympiasieger und amtierender Weltmeister über 10.000 Meter und 5000 Meter, Inhaber der Weltrekorde über 5000 und 10.000 Meter. Und: Nach einer schweren Muskelverletzung im rechten Oberschenkel hat er hat seit 19 Monaten kein einziges Rennen bestritten.

Ausgerechnet bei der WM in Daegu will er nun erstmals wieder starten. "Er wird nach Daegu fliegen und dort laufen", bestätigte sein Manager Jos Hermens: "Er trainiert sehr gut. Er ist auch fit, aber es ist schwer zu sagen, was passieren wird, da er solange keine Rennen mehr bestritten hat. Er hat mich aber schon so häufig überrascht."

6 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Jelena Issinbajewa

WM-Topfavoriten im Kurzportraet: Jelena Isinbajewa

Quelle: dapd

Es war das große Scheitern bei der WM in Berlin. Jelena Issinbajewa kniete auf der Stabhochsprung-Matte und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihren dritten Versuch über 4,85 Meter hatte sie gerade gerissen, sie war raus aus dem Wettkampf ohne gültige Höhe. "Salto nullo" heißt das im Stabhochsprung.

Die heute 29-jährige Russin ist die schillerndste Figur der Frauen-Leichtathletik. Ihre unaufhörlichen Erfolge (zweimalige Olympiasiegerin, zweimalige Weltmeisterin, Europameisterin und 27 Weltrekorde), dazu ihre attraktive Erscheinung machten aus ihr die bestbezahlte Athletin der Welt, eine vielfache Millionärin. Doch nach der Enttäuschung in Berlin zog sie sich weitgehend zurück aus dem Sport, sie fährt nur als Weltranglisten-Dritte zur WM nach Daegu. Sie ist inzwischen zu ihrem alten Trainer Jewgeni Trofimow zurückgekehrt, und der kündigt an: "Es wird einen neuen Rekord geben. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wir respektieren alle Rivalinnen. Vielleicht sind drei oder vier Konkurrentinnen in der Lage, um den Sieg zu springen."

Ihr großes Ziel sind die nächsten Weltmeisterschaften, 2013 in Moskau. Bis dahin ist ihr millionenschwerer Ausrüstungsvertrag datiert. Doch ihre wahre Größe hat sie ohnehin schon gezeigt, im Augenblick ihrer größten Niederlage in Berlin. Mehrere Stunden stellte sie sich den Fragen der Journalisten aus aller Welt, sie antwortete jedem, stets freundlich, stets verbindlich. Nach all den Siegen blieb sie auch in der Niederlage eine Persönlichkeit.

7 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Usain Bolt

-

Quelle: AFP

Eigentlich hat die Leichtathletik derzeit nur ein Gesicht: das des 25-jährigen Sprinters aus dem County Trelawny Parish im Nordwesten von Jamaika. Bei Olympia in Peking 2008 und bei der WM in Berlin 2009 rannte Usain Bolt so schnell wie nie zuvor ein Mensch auf einer Tartan- oder Aschebahn, zog Grimassen vor dem Start, kam mit offenen Schnürbändern ins Ziel und scherzte mit dem Maskottchen Berlino. Er ist dreifacher Olympiasieger, dreifacher Weltmeister, hält über 100 Meter, 200 Meter und mit der Staffel drei Weltrekorde. 250.000 Euro soll er für einen Start an Gage bekommen, sein Jahresgehalt soll zwischen fünf und zehn Millionen Euro liegen.

In der aktuellen Saison ist Bolt auf beiden Sprint-Distanzen zwar unbesiegt, konnte aber nach längerer Verletzungspause wegen Rückenbeschwerden die Erwartungen aufgrund schwacher Starts nicht erfüllen. Seine im Juni in Oslo erreichten 19,86 Sekunden über 200 Meter sind immerhin Jahresweltbestzeit. Doch nach der Absage mehrerer Kontrahenten (Gay, Powell, Mullings, Rodgers) klingt er siegesgewiss: "Ich bin bereit, die Titelverteidigung ist sehr wichtig für mich, weil ich eine Legende werden will."

8 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Justin Gatlin

-

Quelle: AP

Dass Justin Gatlin noch einmal die größte Sprinter-Hoffnung der Sprinter-Nation USA sein würde, hätte wohl jemand gedacht. Im Jahr 2006 wurde der Weltmeister und Olympiasieger positiv auf Testosteron getestet und vier Jahre lang gesperrt. In diesem Jahr hat sich der 29-Jährige aus 9,95 Sekunden gesteigert, was nun keine Goldmedaille wert sein dürfte. Doch weil aufgrund von Doping und Verletzungen die ersten Vier der Weltjahresbestenliste (Powell, Rodgers, Mullings, Gay) nicht starten, scheint gerade hinter Usain Bolt alles möglich zu sein.

"Amerikaner lieben Helden, aber sie lieben noch mehr eine gute Comeback-Story", sagt Gatlin: "Leute wollen Tragödien sehen und wie man diese bewältigt. Ich weiß das zu schätzen, das reichert meine Geschichte noch an." Fast hätte sich eine weitere Tragödie im Leben von Gatlin angefügt, die allerdings eher Gelächter hervorgerufen hätte: Im Training im heißen Florida betrat er mit verschwitzten Socken eine Eiskammer - und der Stoff ist an den Knöcheln festgefroren. Die Erfrierungen sollen nicht ganz verheilt sein, dennoch soll er für die USA die Sprinter-Ehre retten.

9 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Andreas Thorkildsen

WM-Topfavoriten im Kurzportraet: Andreas Thorkildsen

Quelle: dapd

Der 29-Jährige ist so etwas wie das Nationalheiligtum der Norweger. Der Speerwerfer aus Kristansand beherrscht seine Disziplin seit einigen Jahren auf beeindruckende Weise, vor allem bei Großereignissen reichte kaum ein Gegner an ihn heran. Alleine bei der WM in Barcelona kam ihm der Saarbrücker Matthias de Zordo nahe, doch die Goldmedaille ging wieder an Thorkildsen.

Der Norweger ist zweimal Olympiasieger, zweimal Europameister und in Berlin 2009 wurde er erstmals Weltmeister. Die Weltjahresliste führt er mit 2,60 Meter Vorsprung an. Alles andere als der zweite WM-Titel und die Fortsetzung seiner Dominanz wäre eine große Überraschung und eine herbe Enttäuschung für Norwegen.

10 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Xiang Liu

-

Quelle: AFP

Auch der Chinese hat eine üble Enttäuschung hinter sich, eine Phase des Verschwindens mit der Frage, ob er überhaupt wieder auftauchen würde. Beim Höhepunkt seines Lebens, den Olympischen Spielen zu Hause in Peking, brach er den Wettkampf wegen einer Verletzung ab, der Sportler weinte noch auf der Bahn, der Trainer in der Pressekonferenz, das Land gleich mit.

Lange war wenig von Xiang Liu zu hören, jetzt läuft er wieder über seine 100 Meter Hürden und steht in der Weltjahresbestenlist auf Rang zwei: 13,00 Sekunden. Er wird sich mit dem Amerikaner David Oliber und dem Kubaner Dayron Robles im Gold streiten. China wird wieder vor dem Fernseher sitzen und mitbangen. Auf das es diesmal besser enden werde als damals zu Hause in Peking.

11 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Jessica Ennis

13th IAAF World Athletics Championships Daegu 2011 - Previews

Quelle: Getty Images

Hing 2008 in China Liu Xiang vor dem olympischen Spielen auf hochhausgroßen Postern in der Stadt, erfährt diese Wertschätzung nun  Jessica Ennis. Die 1,65 Meter kleine Leichtathletin mit dem hübschen Gesicht und dem einnehmend offenen Lachen ist das ideale "poster girl" für die Spiele 2012 in London. Und: Sie scheint derzeit im Siebenkampf kaum zu schlagen zu sein.

Ein gut aussehender Gewinnertyp - was will man mehr. Die Bürde, von dieser Ausgangsposition aus eigentlich nur noch Scheitern zu können, belastet die 25-Jährige angeblich nicht. "Es ist für mich eine Ehre, als Aushängeschild ausgewählt worden zu sein." Wer Erfolge feiern will, müsse Druck ertragen: "Deshalb muss es das Ziel sein, unter Belastung zu stehen." Die WM in Daegu ist für Ennis sicher nur eine halbgare Generalprobe für das ganz große Ziel 2012.

12 / 12

Leichathletik-WM in Daegu:Darja Klischina

Darya Klishina

Quelle: AP

Die 20-jährige Russin ist die Nummer zwei der Weitsprungwelt 2011, mit 7,05 Meter, hinter Brittney Reese aus den USA. Das ist eine schöne Leistung, doch die enorme Aufmerksamkeit, die sie gerade im russischen Sport und sicher auch bei der WM bekommt, ist damit nicht erklärt. Schon eher mit einem Zitat aus dem Londoner Telegraph: "Wenn die Firma Mattel jemals eine Barbiepuppe der Leichtathletik produzieren sollte, wird sie ein bisschen wie Klischina aussehen."

Bei Klischina wird der Weitsprung-Anlauf zum Laufsteg: Beine ohne Ende, im Gegenwind des Laufs zum Absprungbalken wehendes Blondhaar, Puppengesicht, modelaffine Kontur des auf 1,80 Meter aufgeschossenen Körpers. Sie wird ein "Blickfang" der WM sein, die TV-Stationen werden keinen Sprung der schönen Darja verpassen wollen, und am Ende gewinnt die springende Barbie vielleicht auch noch. 2007 war sie U18-Weltmeisterin, 2009 U20-Europameisterin und 2011 Hallen-Europameisterin. Den Nachteil, so schön zu sein, hat Klischina aber auch schon erkannt. Dem Sport Express sagte sie: "Für einige bin ich wie das rote Tuch für Stiere. Man kann es an ihren schrecklichen Blicken sehen."

© sueddeutsche.de/hum/ebc/lala
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: