Leichathletik: WM in Berlin:Im Sinne der Athleten

Der Deutsche Leichtathletik-Verband beweist bei seiner Nominierung für Berlin Mut zur großen WM-Mannschaft. Und gibt einigen Talenten eine unverhoffte Chance.

Thomas Hahn

Ralf Bartels, der Kugelstoß-Europameister, sieht ganz locker aus, als er erzählt, dass es ihm noch an Lockerheit fehle. Bei der sonntäglichen Gala des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in Wattenscheid ist er gerade Erster geworden mit 20,53 Metern, was er nicht grottenschlecht findet, aber auch nicht wahnsinnig gut, sonst würde er nun nicht in fließender Rede ausführen, dass er besagte Lockerheit aus dem Training derzeit nicht in den Wettkampf hinüberretten könne.

Leichathletik: WM in Berlin: Selbstbewusst nach Berlin. Diskuswerfer Robert Harting.

Selbstbewusst nach Berlin. Diskuswerfer Robert Harting.

(Foto: Foto: Getty)

Doch dann trifft ihn eine ganz andere Frage. Ob er, Bartels, 31, seit 2001 bei jedem Großereignis dabei, den 19-jährigen U20-Europameister David Storl nominieren würde für die Heim-WM in Berlin? "Oh", sagt er, "das ist so eine Fangfrage." Er ist doch keiner der DLV-Entscheider, die für den Abend die letzte Sitzung zur Nominierung anberaumt haben. Er hat dazu keine Meinung zu haben, findet Ralf Bartels, außer vielleicht jene etwas umständliche, die er nun in aller Höflichkeit ungefähr so formuliert: Der David Storl habe die Nominierung verdient, aber man müsse aufpassen, dass man ihn nicht verheize, aber er habe die Nominierung verdient, aber... Und im übrigen dürfte Ralf Bartels das Thema auch ziemlich wurscht sein.

Die Auflösung des Nominierungsrätsels vor dem WM-Start in Berlin am 15. August folgte tags darauf gegen zwei Uhr nachmittags. Wie angekündigt schickte der DLV die Namen seiner Auswahl ins Land, auf dass kein Außenstehender mehr spekulieren müsse, kein Wackelkandidat mehr bangen und keiner der 73 Vornominierten mehr Fangfragen beantworten.

Es ist eine große Auswahl geworden: 44 Frauen und 48 Männer umfasst sie. 19 Sportlerinnen und Sportler haben die Leistungssport-Verantwortlichen des DLV nach den Eindrücken der letzten Wettkämpfe in Leverkusen am Freitag und Wattenscheid am Sonntag nachträglich ins Team aufgenommen. Und sie haben dabei nicht gnadenlos streng auf die Erfüllung der Qualifikationsleistungen geschaut, sondern die Saisonleistungen der Wackelkandidaten auf deren inneren Gehalt hin überprüft und Ergebnisse belohnt, die DLV-Sportdirektor Jürgen Mallow "international konkurrenzfähig" nennt.

Der junge Kugelstoßer Storl aus Chemnitz bekommt auf diese Weise tatsächlich seinen Berlin-Start, nachdem er in dieser Saison drei U20-Weltrekorde aufgestellt hat und seinen Ruf als Jahrhunderttalent bestätigte. Auch der 20-jährige 800-Meter-Läufer Robin Schembera, der am Freitagabend noch tief enttäuscht zur Kenntnis nahm, dass er schon wieder an der geforderten WM-Norm von 1:45,40 Minuten vorbeigelaufen war. Oder der deutsche 200-Meter-Meister Robert Hering, 19.

Diese WM-Nominierung kann man durchaus als ein Zeichen für die Jugend deuten, vor allem aber wirkt sie ziemlich wohlwollend im Sinne der Athleten. Dass etwa der frühere Dreisprung-Weltmeister Charles Friedek mit seiner Saisonbestleistung von 16,97 Metern, aufgestellt Anfang Juni in Wesel, trotz verpatzter deutscher Meisterschaft und verfehlter WM-Norm von 17,10 Meter, im Team steht, wirkt schon ziemlich kulant.

Friedeks Teamkollege vom Kleinklub Referenznetzwerk Leverkusen, Nils Winter, Saisonbestleistung im Weitsprung 8,04 Meter, ist ein weiteres Beispiel für einen Berlin-Starter ohne WM-Norm. Mallow sieht bei ihm das Kriterium WM-Finalchance erfüllt: "Nils Winter traue ich zu, die Qualifikation zu überstehen." Und dass der DLV acht Sprinterinnen und Sprinter aus den Staffeln auf die Einzelwettbewerbe verteilt hat, ist auch so ein Hinweis, dass die sportliche Leitung ihren Aktiven lieber Chancen einräumt, als sie ihnen zu nehmen.

Die Sportler dürfen sich ganz gut aufgehoben fühlen bei ihren Leistungssportmanagern des DLV, das ist zumindest der Eindruck in diesen letzten Tagen vor der WM. In Wattenscheid ärgerten sich die Werfer wieder sehr, weil die Veranstalter der DLV-Gala sie ständig störten mit ihrem Ehrgeiz, möglichst viele Disziplinen in möglichst wenig Zeit unterzubringen. Immer wieder mussten die Werfer die Vorbereitungen auf ihren nächsten Versuch unterbrechen, weil auf der Bahn ein Start anstand, eine Vorstellung, ein Tralala.

"Das ärgert mich ein bisschen", untertrieb Diskuswerfer Robert Harting. Er ist zurzeit sehr selbstbewusst, er sagt: "Der Kanter (Olympiasieger aus Estland) hat mich auf vier gesetzt, das wird ihm noch leid tun." Und er fühlte sich um die Chance betrogen, vor der WM ein noch deutlicheres Zeichen an die Konkurrenz zu senden als jene starken 68,10 Meter, die er seinem Zorn abtrotzte. Aber als Sportdirektor Mallow später auf die Wut der Werfer angesprochen wurde, versuchte er nicht, sie zu zähmen, sondern schimpfte mit aufs Premium-Sportfest seines Arbeitgebers: "Hier war es grottenschlecht."

Der Zusammenhalt wird allerdings auch wichtig sein, Rückhalt für jeden im deutschen Trikot. Die Mannschaft ist sehr groß, 42 der 47 Disziplinen sind besetzt, da wird auch die ein oder andere Vorkampfniederlage nicht ausbleiben. Zumal diese WM auch eine Lehre sein soll für junge Leute wie den Kugelstoßer David Storl.

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