Leichathletik::Goldene Generation im Sprint

Sturm auf der halben Runde: Über 200 Meter hat eine Garde junger Sprinter das Leistungsniveau auf nie dagewesene Höhen getrieben.

Thomas Hahn

Frankie Fredericks wollte den jungen Leuten nicht im Licht stehen. Aber was sollte er machen? Sein guter Name hat sein Karriereende überlebt, seine Beliebtheit ist ungebrochen. Außerdem hatte er genau hier, im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion, vor 13 Jahren seinen einzigen WM-Titel über 200 Meter gewonnen und war beim Grand-Prix-Finale des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF gerade in der ewigen Bestenliste seines Sports um einen Rang zurückgefallen. Die Journalisten verlangten nach ihm. Fredericks lachte, er zierte sich, er zeigte auf die Läufer, die sich gerade abseits der Bahn niedergelassen hatten. Es war doch ihre Show, vor allem die von Tyson Gay aus Lexington, dem Gewinner in der drittbesten je erzielten Zeit von 19,68 Sekunden, und dessen Landsmann Wallace Spearman, dem Zweitplatzierten in 19,88. Natürlich hat Fredericks dann doch noch gesprochen, und später schien er sogar richtig froh gewesen zu sein darüber, dass er der Öffentlichkeit seine Sicht der Dinge mitteilen konnte. ,,Den 200 Metern hat es in den vergangenen zwei Jahren an Talenten gefehlt.'' Jetzt sah Frankie Fredericks die Talente wieder und er sagte: ,,Ich denke, wir erleben aufregende Zeiten.''

Goldene Generation im Sprint

Einer der Schnellsten: Tyson Gay.

(Foto: Foto: rtr)

Den Überschwang hat man Frankie Fredericks aus Namibia, 38, nachsehen müssen, der zeit seiner Karriere als glaubwürdiger Publikumsliebling durch die Welt reiste. Irgendwie fühlt er sich eben doch noch als Sportler, zumal er in der IAAF Mitglied der Athleten-Kommission ist und sein letztes Rennen erst zwei Jahre her ist. Er muss selbst darunter gelitten haben, dass seine Lieblingsstrecke lange etwas unterging im Reigen der Disziplinen und vor allem Schlagzeilen machte, wenn ihr griechischer Olympiasieger von 2000, der noch bis Dezember gesperrte Konstantinos Kenteris, von Antidopingfahndern nicht aufzufinden war. Aber natürlich hat man ihm auch jetzt eine gewisse Skepsis nicht ersparen können, gerade in dieser Saison nicht.

Zwei Extreme haben sie geprägt: Der positive Testosteron-Befund von 200-Meter-Weltmeister Justin Gatlin und eine nie dagewesene Schwemme an Ausnahmeleistungen. Früh im Jahr legte der Jamaikaner Usain Bolt, damals noch 19, 19,90 Sekunden vor, genauso schnell war Jamaikas 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell. Mit gebremsten Finish. Im Juli schoss dann der 20-jährige Xavier Carter durchs Stade de la Pontaise von Lausanne ins Bewusstsein der Leute. 19,63 Sekunden, schneller war seit Beginn der Zeitmessung über 200 Meter nur Carters US-Landsmann Michael Johnson gewesen (19,32). Tyson Gay, 24, wurde an diesem Abend Zweiter in 19,70 (vor Bolt, der 19,88 rannte), gewann später in London und Brüssel in 19,84 und 19,78, trieb in Stuttgart auch Spearman, 21, zur Bestzeit und stieß selbst in sporthistorische Dimensionen vor. Nach den jüngsten Erfahrungen wäre es fahrlässig, bei dieser Hausse nicht auch an Doping zu denken.

Immerhin haben Wallace Spearman und Tyson Gray es nach dem Rennen geschafft, ihren Leistungen noch ein Bild von sich selbst anzufügen, das sich nicht schon in antrainierten Statements und demonstrativer Lässigkeit erschöpfte. US-Sprinter machen oft einen etwas gewöhnungsbedürftigen Eindruck. Manche reden so salbungsvoll, dass man ein großes Theater hinter ihren Ausführungen vermutete. Andere verschanzen sich hinter unbewegten Mienen und Stehsätzen. In Wallace Spearman dagegen, WM-Zweiter von Helsinki 2005, stellte sich ein feingliedriger junger Mann vor, der sich bei Tyson Gays Pressekonferenz im Plenum versteckte, und erst, als Fredericks ihn aufs Podium gewunken hatte, berichtete, dass er ,,ein energiegeladener Kerl'' sei, ,,der 'ne Menge redet''.

Und Tyson Gay zeigte sich als zugänglicher, bescheidener Mensch. Er hielt eine kleine Rede gegen den Machismus im US-Sport, beantwortete die übliche Frage nach dem Weltrekord sehr defensiv und plädierte für ehrliche Rennen innerhalb der neuen Sprint-Generation: ,,Ich will kein Wegducken. Nichts von diesem: ,Ich brauche mehr Geld'.'' Er saß noch eine ganze Weile im kleinen Kreis, er sprach über dies und das, und irgendwann auch über seine Haltung zu Doping und seinen Glauben, was offenbar das gleiche ist. ,,Ich glaube nicht an leistungssteigernde Mittel'', sagte er, ,,ich glaube an eine höhere Droge. Ich glaube an Gott. Nichts ist mächtiger als ein Mann, der über Wasser gehen kann.'' Er wirkte sehr ernst, aber auch nicht zu streng, er schien im Frieden zu sein mit sich selbst und seinen Werten. Er sagte, dass Siege nicht sein höchstes Gut seien. ,,Ich bin immer glücklich, ob ich verliere oder gewinnen.'' Es klang sehr gut.

In seinem Umfeld gibt es trotzdem eine unschöne Geschichte. Trainer Lance Brauman, der auch Wallace Spearmans Trainer ist, hat kürzlich einen Prozess verloren, weil er an der Universität von Arkansas Studenten Stipendien verschaffte, die ihnen gar nicht zustanden, unter anderen auch an Tyson Gay. Über das Strafmaß für Brauman wird im Oktober befunden. Das klang wieder nicht so gut. Aber Tyson Gay schaute aus unschuldigen Augen. Er sagte, dass Frankie Fredericks eines seiner Vorbilder gewesen sei. Dass er wie er werden wolle. Unverkrampft und froh, auf der Bahn zu sein, ein glücklicher Läufer in einem ehrlichen Sport. Und diese Worte nahmen seine Zuhörer mit als ein Versprechen, an dem sie Tyson Gay in den nächsten Jahren messen werden.

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