Leichathletik-EM:Europas Weltmeisterschaft

Eine Türkin aus Äthiopien, ein Brite aus Somalia, ein Österreicher aus Barbados: Die Europameiterschaft spiegelt die Wirklichkeit der Zuwanderer-Länder - aber auch falschen Verbands-Ehrgeiz.

Thomas Hahn

Um mehr über den Schmäh von Korporal Ryan Moseley zu erfahren, müsste man wohl tiefer in dessen Privatleben vordringen. Der Sprinter ist mit einer Salzburgerin verheiratet, Mitglied von Union Salzburg, wohnhaft in Salzburg und seit 2008 Österreicher per Ministerratsbeschluss, was offensichtlich mit dem vortrefflichen Tempo zu tun hat, das er auf die Leichtathletik-Bahn bringt. Ryan Moseley hat das Talent, um Österreich stolz zu machen, als Mitglied der Sportfördergruppe im Bundesheer hat er 2009 sogar schon Silber bei der Militär-WM in Sofia für die Alpenrepublik gewonnen, und natürlich macht es auch ihn selbst stolz, das rote Trikot seines Landes zu tragen. Wobei sein Land eigentlich ein anderes ist.

Farah of Britain celebrates as he crosses finish line to win men's 10,000 metres final at European Athletics Championships in Barcelona

Mo Farah wurde in Somalia geboren - und gewann in Barcelona Gold für Großbritannien.

(Foto: rtr)

Ryan Moseley ist in Bridgetown auf Barbados geboren, einem Inselstaat tief in der karibischen See. Ehe es ihn nach Österreich verschlug, startete er vor allem in Großbritannien. Und was seinen Schmäh angeht, kann man zumindest sagen, dass die österreichischen EM-Reporter sich nicht viel von ihm versprechen. Sie reden mit ihrem Landsmann Moseley Englisch.

50 Länder sind bei der EM am Start, aber im Grunde sind es viel mehr. Viele Sportler haben einen sogenannten Migrationshintergrund, der österreichische Mister Moseley ist nur ein Beispiel dafür, wie manche neben ihren offiziellen Nationalfarben noch eine unsichtbare zweite Flagge mit in den Wettbewerb tragen. Bei der EM trifft man Leute wie Filmon Ghirmai, 15. über die 10000 Meter, aus Tübingen, gebürtig in Asmara, Eritrea, als Sechsjähriger nach Deutschland gekommen, heute ein Vertreter gepflegter schwäbischer Sprachkultur.

Oder den britischen 10000-Meter-Europameister Mo Farah aus Mogadischu, der mit zehn aus Somalia zum Vater nach London flüchtete und auf dem Community College von Feltham als Ausdauertalent entdeckt wurde. Oder man trifft den 100-Meter-Sprinter Jaysuma Saidy Ndure, 2004 Fahnenträger für Gambia bei den Olympischen Spielen in Athen und Dritter der Afrika-Meisterschaften in Brazzaville, der 2002 seinem Vater nach Oslo folgte und 2006 Norweger wurde, was viele in seinem Geburtsland als eine Art Raub am Nationaleigentum verstanden.

Diese Leute machen die EM bunter. In Sportarten wie Badminton oder Tischtennis stellen sich die Verbände auf eine Art und Weise international auf, dass ihre Welt nur noch aus China zu bestehen scheint. In der Leichtathletik dagegen führt der Ländertransfer zu echter Vielfalt und spiegelt die gesellschaftliche Wirklichkeit in Europas Zuwanderländern wider. Aber Auswüchse gibt es auch, und gerade im Langstreckenlauf werden manche Athleten ziemlich nachdenklich, wenn sie bedenken, wie sich langsam ihre Gegnerschaft verändert.

Es wäre übertrieben, von einem Transfermarkt für Nationalathleten zu sprechen, findet Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). "Die Zahl der Athleten, die die Nationalität wechseln, ist verschwindend gering", sagt er, nachdem sein Verband zuletzt selbst so einen Fall zu bearbeiten hatte. Hammerwerfer Sergej Litvinov, Sohn des sowjetischen 1988-Olympiasiegers Sergei Litwinow, will aus familiären Gründen künftig für Russland starten, was der DLV ihm nicht verwehren wird. Aber auf internationaler Ebene ist niemandem entgangen, wie viele Afrikaner in reiche Scheichtümer wie Katar oder Bahrain wechseln. Auch in Europa werden Ausländer leichter Inländer, wenn sie sportliche Erfolge verheißen. Auch in Deutschland; Deutsch sprechen zu können, bleibt dabei eine Voraussetzung um Deutscher zu werden. Trotzdem stimmt es, sagt Prokop: "Über die sportliche Schiene ist eine erleichterte Einbürgerung möglich."

Türkin aus Äthiopien

Manchen Läufern kommt der Afrika-Anteil in einzelnen Kadern jedenfalls verdächtig hoch vor. Die deutsche EM-Teilnehmerin Sabrina Mockenhaupt, die sich über 5000 Meter zum Beispiel mit der türkischen Olympia-Zweiten Elvan Abeylegesse aus Addis Abeba, Äthiopien, auseinandersetzen muss, hat das schon angedeutet.

Der Wattenscheider Jan Fitschen, 10000-Meter-Europameister von 2006 und in Barcelona Zwölfter, spricht von gezielten Einbürgerungen und europäischen Verbänden, die ihre Talentsichtung längst auf Afrika ausgedehnt haben: "Manche Länder machen das ganz bewusst." Es geht den beiden bei der Kritik nicht nur um ihre eigene Position im kontinentalen Läuferfeld. Sondern auch um die Ghirmais und Farahs, deren zweite Heimat in Wirklichkeit längst ihre erste geworden ist und die auf europäischer Ebene bald gegen umgesiedelte Söldner aus ausgewiesenen Läufer-Ländern verlieren könnten.

Das Problem hat noch nicht zu den ganz großen Wettbewerbsverzerrungen geführt, aber Jan Fitschen ist durchaus der Meinung, dass die zuständigen Verbände ein Auge darauf haben sollten. Er findet, dass sich die Vielfalt des europäischen Wettbewerbs nicht einholen lassen darf von ein paar eingekauften Medaillenkandidaten, für die Europa nicht mehr bedeutet, als die Aussicht auf ein besseres Sportlerleben.

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