Als LeBron James am Donnerstagabend das Parkett verließ, da sah er nicht unbedingt aus wie ein Basketballspieler. Er ging langsam und gebückt, er humpelte auf beiden Beinen, von seinem Kopf liefen Schweiß und Blut. Er sah nicht aus wie ein Athlet nach der 82:103-Niederlage seiner Cleveland Cavaliers gegen die Golden State Warriors, er wirkte eher wie ein Krieger nach einer Schlacht auf dem Weg zum Heerlager.
Er stieg sofort in eine Mülltonne mit Eis und trank einen Vitamincocktail, an seine Schultern wurden Elektroden angeschlossen, danach wurde er massiert, am Kopf genäht und in Kompressionskleidung gepackt.
Der Körper von James ist lädiert nach dem vierten Spiel der NBA-Finalserie, die nun ausgeglichen ist. Nicht nur wegen der langen Saison und deswegen, weil er nach den Verletzungen von Kyrie Irving und Kevin Love gerade versucht, diese Serie mit eher durchschnittlichen Kollegen gegen die favorisierten Warriors zu gewinnen. Es lag auch an der einfachen und dennoch effektiven Taktik, die sich der gegnerische Trainer Steve Kerr für diese Partie ausgedacht hatte. Es war eine harmlosere Variante der Jordan Rules, mit der die Detroit Pistons von 1988 bis 1990 Michael Jordan und die Chicago Bulls getriezt hatten. Kerr wählte an diesem Abend die James Rules.
Das funktionierte so: Schon vor dem Ballbesitz wurde James heftig bedrängt - bekam er das Spielgerät, eilte meist ein zweiter Gegenspieler herbei, um ihn in die Ecke und damit eine knifflige Wurfposition zu drängen oder zu einem Abspiel zu bewegen. Pflügte James dennoch in Richtung Korb, wurde er aggressiv attackiert und bisweilen auch hart gefoult. Mitte des zweiten Viertels etwa stürzte er nach einer unsauberen Aktion von Andrew Bogut zu Boden, er prallte mit dem Kopf gegen eine TV-Kamera und blieb benommen liegen. An James' Kopf waren zahlreiche Schnitte zu sehen, er hielt dennoch bis zum Ende durch und schaffte 20 Punkte und zwölf Rebounds.
Der Körper muss funktionieren
Kerr ging indes noch weiter. Er schickte zum ersten Mal in dieser Saison Andre Iguodala von Beginn an aufs Feld und sorgte mit dieser flinkeren Startaufstellung dafür, dass James auch defensiv laufen und hart arbeiten musste, er verteidigte entweder gegen den überaus aktiven Iguodala oder gegen Scharfschütze Klay Thompson. "Wir nutzen schon das ganze Jahre die Tiefe unseres Kaders, auch die zweite Reihe kann den Gegner ebenso schnell attackieren", sagte Iguodala, der 22 Punkte schaffte: "Es ist wirklich schwer, mit uns mitzuhalten."
Es wäre zu kurz gegriffen, diese taktische Variante als plump oder gar unfair zu bezeichnen. Im Gegenteil, sie ist überaus riskant, weil aufgrund der Konzentration auf einen Akteur dessen Kollegen viel Platz und Zeit eingeräumt wird. Nur trafen die Cavaliers nicht an diesem Abend gerade einmal ein Drittel ihrer Würfe, obwohl sie bisweilen völlig frei angespielt wurde. Das ist der tiefere Sinn der James Rules: Von diesem einen Spieler wollten sich die Warriors nicht wie in den vergangenen beiden Partien (James schaffte dabei 39,5 Punkte, 14 Rebounds und 9,5 Zuspiele pro Partie) besiegen lassen.
"Wir waren heute in der Offensive einfach nur schrecklich, wir haben von außen nicht getroffen", sagte James nach dem Spiel: "Wir haben nicht die Optionen der Warriors, personell etwas auszuprobieren. Aber wir haben die Möglichkeit, diese Partie zu analysieren und spielerische Änderungen vorzunehmen."
Die Cavaliers fliegen nun zurück nach Oakland, wo am Sonntag die fünfte Partie stattfindet. Im Flugzeug wird James mit Proteinen und Elektrolyten gefüttert, die Muskeln werden mit Stromstößen stimuliert, die Beine werden in Lymphdrainage-Hosen gepackt. Der Körper soll funktionieren, er muss funktionieren.
"Es sind höchstens noch drei Spiele in dieser Saison, da denkt man nicht an Müdigkeit oder kleinere Verletzungen", sagte James, der bislang an 238 von 373 Cavaliers-Punkten beteiligt war. Dann verließ er die Halle - und sah schon wieder ein bisschen aus wie ein Basketballspieler.