Laura Siegemund:Nur Kerber ist besser

160724 Laura Siegemund Tyskland under finalen under dag 8 av Swedish open den 24 juli 2016 i Basta

"In dieser Trophäe sehe ich die Bestätigung für meine Arbeit": Bastad-Gewinnerin Laura Siegemund.

(Foto: imago/Bildbyran)

Mit 28 hat Laura Siegemund ihr erstes WTA-Turnier gewonnen. Jetzt fährt sie als zweitbeste deutsche Tennisspielerin zu Olympia - weil sie gelernt hat, loszulassen.

Von Gerald Kleffmann

Am Montag ist Laura Siegemund nach Hause geflogen, nach Stuttgart, da gab es zwei Überraschungen. Zuerst standen Besucher der Nationalen Anti-Doping-Agentur vor der Tür, zwei Stunden dauerte das Prozedere. Für sie war das trotz des ungünstigen Zeitpunkts kein Problem, sie ist eine Verfechterin strenger Kontrollen und will "ganz offen sein", wenn es um Sauberkeit und Transparenz geht.

"Auch wenn es mir an dem Tag nicht gepasst hat, ich fand das gut, dass sie da waren", sagt Siegmund mit Leichtigkeit in der Stimme, der Abend bot ja noch einen heiteren Ausklang. Eine Grillparty "so richtig nach schwäbischer Art" wartete auf sie, Teamhelfer, Familie, Freunde, sie alle feierten ihren speziellen Erfolg vom Sonntag.

Siegemund, die mal das wichtigste Juniorenturnier der Welt gewann, mit Hymnen überschüttet wurde und doch scheiterte, sich aus Spaß am Tennis wieder hinten anstellte bei kleinen Events und nun, seit einem Jahr, in der Weltrangliste klettert und klettert, hat mit 28 ihr erstes Turnier auf der WTA-Tour gewonnen, in Bastad. Ein Ort, den sie gut kennt und schätzt.

Sie weiß, dass sie wohl tief fallen musste

Dort begann ihr Weg als Berufsspielerin. In dem schwedischen Städtchen, das sie als "supercoole Location" bezeichnet, bestritt sie 2010 ihr erstes WTA-Match, das sie verlor. Nun schloss sich ein Kreis. Bastad, 24. Juli 2016, 7:5, 6:1 im Finale gegen die Tschechin Katerina Siniakova, Schampus spritzte, und sie flog mit einer Trophäe heim, die ihr viel bedeutet: "In dieser Trophäe sehe ich die Bestätigung für meine Arbeit." Griffiger geht es wahrlich kaum.

Nur eine Deutsche ist plötzlich besser als sie, die Weltranglisten-Zweite Angelique Kerber. Petkovic, Lisicki, Görges - alle hinter ihrem 32. Rang. Die einstmals als goldene Generation verkaufte Gruppe reüssiert ohnehin nicht mehr im Gleichschritt, aber dass Siegemund diejenige ist, die nach Kerber als beste Deutsche in Rio bei Olympia antritt, ist doch erstaunlich und überrascht auch sie. Fassungslos steht diese energiegeladene, muskulöse Athletin aber nicht ihrem späten Durchbruch gegenüber. Sie kann ihn gut erklären.

Sie weiß, dass sie wohl tief fallen musste, um da zu stehen, wo sie nun steht. Bei ihrem ersten Versuch, durchzustarten, war alles auf Erfolg und Ergebnisse ausgerichtet, das Supertalent, das beim Orange Bowl siegte wie Steffi Graf, scheiterte am Druck. Nach vielen Niederlagen und einem Bänderriss schloss sie im Frieden mit Tennis ab, machte den A-Trainerschein, studierte Psychologie an der Fernuni, Thema der Abschlussarbeit: "Versagen unter Druck".

Swedish Open in Bastad

Sieger-Knaller: Laura Siegemund zelebriert ihren Swedish-Open-Sieg in Bastad, nachdem sie die Tschechin Katerina Siniakova bezwungen hatte.

(Foto: dpa)

Das Paradoxe: Als sie anfing, die Tenniswelt loszulassen, kehrte sie zurück. Sie gewann gleich ein 25 000-Dollar-Turnier, ohne Druck. Nach einer Karriere, die nicht den Erwartungen gerecht werden konnte, setzte sie erneut an: "Ich habe mich in allen Facetten weiterentwickelt", sagt sie heute, und: "Ein Ergebnis ist ein Ergebnis." Sie will nur gut spielen und ihren Möglichkeiten entsprechend richtig agieren. Sie hat sich, auch wenn das platt klingt, neu erfunden, bis auf einen Aspekt.

In ihr bebt Anarchietennis

"Ich war schon als Kind mutig und bin ans Netz gestürmt, wenn die anderen Mondbälle spielten", sagt Siegemund. Immer noch fällt sie mit ihrer im Frauentennis unorthodoxen Spielart auf, sie stürmt nach vorn, volliert viel, nutzt den Slice, den Unterschnitt, den fast alle offenbar für verboten halten, pusht sich, lebt und leidet. Und natürlich weiß sie, "dass ich immer wieder Tiefs habe, wo es nicht so läuft"; die Grassaison gerade war so eine Zeit.

Gut gespielt und nichts gewonnen, so denkt sie darüber. Auch diese Reaktion ist ein Beispiel für ihren Plan, der nun ihr ganz eigener ist und keiner, den andere vorgeben. "Ich weiß, was ich kann", sagt sie. Dieser Satz ist ihre eigentlich schönste Trophäe.

Auf dem Weg zu diesem Bewusstsein half ihr, dass sie wusste, was sie nicht konnte. Sie konnte nicht ihr Anarchietennis umstellen, das in ihr bebt. Sie hatte aber auch nicht - daran war sie ja einst gescheitert - die Athletik und innere Stärke, dieses fordernde Spiel dauerhaft durchzuziehen. Siegemund hat sich selbstkritisch, was nicht alle deutschen Spielerinnen immer sind, einem TÜV ausgesetzt, Wissen angehäuft zu Ernährung, mentalen und taktischen Strategien. Sie hat, weil sie die Vorhand gerne zu spät traf, den Griff verändert und spielt nicht mehr mit dem Western-, sondern mit dem Easterngriff. "Um zehn Zentimeter hat sich mein Griff nach oben gedreht, das war radikal", staunt sie selbst.

Auch wenn Siegemund nun einen zweiten Trainer in Paul Davis hat, weil Markus Gentner als Klubtrainer in Metzingen nicht immer verfügbar ist, braucht sie eigentlich nicht viele Tipps. Sie weiß, wann sie mal Atemübungen ansetzen, wann sie den Kopf ausschalten, wann sie auf die Technik achten sollte, wie sie in engen Phasen cool bleiben kann. Sie hat verinnerlicht, dass sie keine Sternschnuppe ist; im Frühjahr, als sie bei den Australian Open erstmals ins Achtelfinale eines Grand Slams vorstieß, fühlte sie sich als "Newcomer" unter den deutschen Kolleginnen. "Kerber ausgenommen, sind wir alle eng beisammen", so sieht sie das jetzt zurecht.

Am Freitag fliegt Siegemund nach Rio, "ein Geschenk" sei die Teilnahme, sie wolle alles genießen, aufsaugen. Ans Ergebnis will sie nicht denken. Sie bleibt ihrem eigenen Plan treu. Ist ja nicht der schlechteste.

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