Lance Armstrong bei Oprah Winfrey:Wie der weiße Hai - nur ohne Zähne

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Lance Armstrong zeigte sich im zweiten Teil seines Interviews mit Talkmasterin Oprah Winfrey emotional.

(Foto: AFP)

Lance Armstrong hielt sich einst für unbesiegbar, energisch ging er gegen alle vor, die ihn, seinen Sport und seine Arbeit in Frage stellten. Nun wirkt er verwundbar, er entschuldigt sich - um gleich darauf anzukündigen, zurück in den Sport zu wollen. Auch der zweite Teil des Gesprächs mit Oprah Winfrey dient weniger der Buße als vielmehr der Rechtfertigung.

Jürgen Schmieder

Im Film "Wag the Dog" erklärt Dustin Hoffman als gewiefter Hollywood-Produzent den staunenden Zuhörern, wie das so funktioniert im Showbusiness: "Man muss das Publikum bei Laune halten. Man zeigt nicht den weißen Hai in den ersten Minuten des Films." Man dürfe Nuancen präsentieren, Hinweise auf das Ungeheuer, das später in der Geschichte noch auftauchen wird. Erst am Ende eines Films, da dürfe man den Hai, das Erdbeben, die Katastrophe in voller Pracht vorführen.

Oprah Winfrey, das ist bekannt und wurde in den vergangenen Tagen immer wieder ausführlich beschrieben, ist so ein Medienprofi. Sie weiß, wie man das Publikum für eine Sendung begeistert und wie man es bei der Stange hält. Sie hat am vergangenen Montag Lance Armstrong interviewt, den wohl perfidesten und professionellsten Doper in der Geschichte des Sports. Sie hat die Ausstrahlung der Sendung perfekt beworben - mit Twitter-Einträgen, eigenen Interviews und der Ankündigung, das Gespräch in zwei Teilen zu präsentieren.

Lance Armstrong, auch das ist bekannt und wurde in den vergangenen Jahren ausführlich erläutert, ist ebenfalls ein Profi. Ein Mensch, der nichts dem Zufall überlässt. Einer, der immer weiß, was er tut. Der als Radfahrer eine Schreckensherrschaft ausübte auf den Radsport, der die Einnahme leistungsfördernder Mittel kühl kalkulierte und eiskalt die Karriere eines jeden ruinierte, der sich ihm in den Weg stellte.

Im ersten Teil des Interviews in einem Hotel in Austin hatte Armstrong bereits zugegeben, gedopt zu haben. Menschen betrogen zu haben. Karrieren zerstört zu haben. Das klang schockierend, war aber letztlich nur das, was ohnehin bekannt war. Armstrong hatte zwei schreckliche Zähne eines Hais präsentiert, den Rest hatte er sorgsam unter der Oberfläche belassen.

Was also durfte der Zuschauer vom zweiten Teil des Gespräches erwarten? Dass am Ende tatsächlich ein kompletter weißer Hai auftaucht, der das Publikum vor Schreck zusammenzucken lässt? Oder waren diesen beiden Zähne das einzige, das Armstrong zu zeigen bereit war?

Im Büßer-Modus

"Ich fühle mich erniedrigt, ich schäme mich, das ist ein entsetzlicher Gedanke." Das waren die ersten Worte von Armstrong bei der Ausstrahlung. Er wirkte immer noch nervös, sein Körper war von einem nicht zu übersehenden Schweißfilm überzogen, als wäre er gerade nach einem Bad mit gefährlichen Haien im Pazifik aus dem Wasser gestiegen. Damit war klar: Armstrong war immer noch im Büßer-Modus, mit dem er die Öffentlichkeit glauben machen möchte, dass er ein reumütiger Sünder sei, der Absolution erbittet. Armstrong ist bei diesem Gespräch kein weißer Hai, sondern eher ein scheuer Fisch.

So war auch die Dramaturgie des weiteren Gesprächsverlaufs: Lance Armstrong, der sich selbst geißelt, der um Fassung ringt, der mit den Tränen kämpft - und der am Ende tatsächlich noch einen Hai präsentiert.

Armstrong spricht zunächst über die Tage nach dem Bekanntwerden des Dossiers der amerikanischen Anti-Dopingagentur, in dem ihm auf mehr als 1000 Seiten nachgewiesen wird, Teil eines der schlimmsten Dopingprogramme in der Geschichte des Sports gewesen zu sein. Sponsoren hätten angerufen und die Zusammenarbeit gekündigt. Das sei aber nicht der schlimmste Moment gewesen - der sei gekommen, als er realisiert habe, dass er die Kontrolle über seine Stiftung "Livestrong" verlieren würde.

Kurz vorm emotionalen Kollaps

Diese Stiftung hat mehr als 500 Millionen Dollar eingenommen im Kampf gegen den Krebs, den Armstrong einst besiegt hatte. Der Radfahrer engagierte sich, verkaufte mehr als 80 Millionen gelbe Armbänder, setzte sich ein für Krankenhäuser - dennoch wurde die Organisation kritisch gesehen. Im November musste Armstrong von allen Ämtern zurücktreten.

Als Armstrong davon erzählt, wirkt er zum ersten Mal in diesem nun beinahe zwei Stunden dauernden Interview authentisch. Diese Stiftung, dieses Unternehmen, das hat ihm offensichtlich tatsächlich etwas bedeutet. Er nimmt einen Schluck Wasser, nervös saugt er am Strohhalm - Winfrey erkennt, dass Armstrong kurz vor einem emotionalen Kollaps steht.

Diesen Kollaps erlebt Armstrong wenige Minuten später, als er über seinen Sohn Luke sprechen muss. Der habe ihn immer verteidigt und behauptet, dass die Menschen Unwahrheiten über seinen Vater erzählen würden. Nun sind Tränen in Armstrongs Augen zu sehen: "Mein Sohn hat mich nie gefragt: 'Dad, stimmt das alles?' Er hat mir vertraut!" Er habe dann ein ehrliches Gespräch mit seinem Sohn führen und ihm gestehen müssen, dass es doch stimmt, was die Leute behaupten. "Hör' auf, mich zu verteidigen", habe er zu seinem Sohn gesagt, "sage ihnen einfach, dass es Deinem Dad leid tut."

Dann, gegen Ende des Gespräches, da präsentiert Lance Armstrong noch einen Hai: "Wenn Sie mich jetzt fragen: Möchte ich wieder in den Wettkampf zurück? Dann sage ich weiterhin: Ja! Ich bin Wettkämpfer, ich habe mein Leben lang nichts anderes getan. Ich trainiere gerne, ich komme gerne an der Ziellinie an." Er würde gerne im Alter von 50 Jahren zum Chicago-Marathon antreten: "Darf ich aber nicht. Nicht einmal die zehn Kilometer von Austin."

Dann schlägt er, in aller Öffentlichkeit, einen Deal vor - den andere Sportler auch bekommen hätten: "Meine Story gegen sechs Monate Sperre zum Beispiel. So wird es bei vielen gemacht - und ich habe die Todesstrafe bekommen. Ich habe Strafe verdient, aber ich bin nicht sicher, ob ich diese Todesstrafe verdient habe." Der Hai, den Armstrong da am Ende präsentiert, ist keiner, der die Zuschauer schockieren dürfte - er ist recht zahnlos. Schließlich hatten nicht wenige angenommen, dass Armstrong dieses Gespräch mit Oprah Winfrey genau deshalb hatte führen wollen: Er will zurück in den Sport, er will zurück zu seiner Stiftung.

Beim Interview mit Oprah Winfrey durfte sich Lance Armstrong erklären, er durfte sich entschuldigen. Es war ein sentimentales Gespräch, in dem der einstige Radfahrer bisweilen tatsächlich authentisch wirkte. Der weiße Hai indes, dieses schreckliche Monster, das wurde in diesem Gespräch nicht gezeigt. Dazu braucht es wohl keine Fernsehshow, sondern einen Gerichtssaal.

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