Länderspiel:Das neue England kann richtig kicken

Deutschland - England

Der Engländer Eric Dier (2.vl) bejubelt sein Tor zum 2:3 mit Harry Kane (3.vr) - sie sieht das neue England aus.

(Foto: Annegret Hilse/dpa)

Junge Talente statt alter Recken, die Spieler werkeln sogar gemeinsam in der Defensive. Das 3:2 von Berlin zeigt: Die Euphorie auf der Insel ist gerechtfertigt.

Von Thomas Hummel, Berlin

Ist er schon wieder da, der Überschwang? Marvellous, excellent, brillant, wonderful - die Elogen hallten durch die Katakomben des Berliner Olympiastadions. Die englische Sprache bietet ein reiches Repertoire, um Begeisterung auszudrücken. Und wann, wenn nicht jetzt, kann die Mutternation des Fußballs mal wieder begeistert sein von seiner altehrwürdigen Nationalmannschaft?

3:2 hat sie gewonnen, in Berlin beim Weltmeister. Nach 0:2-Rückstand. Nach einer letzten halben Stunde, die man so überhaupt noch nie gesehen hat von englischen Fußballern. Schnell, trickreich, voller Ideen, Mut und Siegeswillen. Die Jugend Englands hat den Platzhirschen an diesem Abend vom Thron gestoßen.

Als die Deutschen 2:0 führten, schien der Aufstand schon wieder beendet

Jetzt wissen auch die Deutschen, dass die neue Mannschaft von Roy Hodgson so gar nichts mehr zu tun mit den früheren Popstar-Truppen von der Insel. Die stets zaudernd und hadernd an den hohen Erwartungen gescheitert waren. Das neue England kann richtig kicken, werkelt gemeinsam in der Defensive. Und haut später selbst keine dicken Sprüche raus. Wobei sie in Berlin schon stolz waren. "Wir müssen uns nicht entschuldigen, dass wir gewonnen haben. Wir hatten wahnsinnig viele Chancen", erklärte Hodgson.

Es war erstaunlich, wie fidel und unerschrocken seine jungen Spieler am Ende über die großen Deutschen herfielen. Schon in der ersten Halbzeit waren sie ein unangenehmer Gegner, attackierten im Verbund den deutschen Spielaufbau und hatten nach einigen Balleroberungen aussichtsreiche Situationen. Vor allem der 19-jährige Delle Alli im Mittelfeld beeindruckte mit Leichtigkeit und Talent. Doch da reichte es noch nicht, die Angriffe zu Ende zu bringen und als die Deutschen 2:0 führten, schien der Aufstand schon wieder beendet.

Dabei ging er da erst richtig los.

Denn während die Deutschen nun endgültig in den Freundschaftsmodus übergingen, hatten die Engländer überhaupt keine Lust, kleinbeizugeben. Das 1:2 von Harry Kane nach gut einer Stunde löste die letzten Fesseln. Alli wurde noch stärker, mit Debütant Danny Rose und Nathaniel Clyne rauschten die Außenverteidiger nach vorne.

Und als Hodgson zudem den neuen Wunderstürmer Jamie Vardy von Tabellenführer Leicester brachte, ging ein Sturm los über Berlin. Sein Tor mit der Hacke war der Höhepunkt Englischer Offensivkunst. Noch bevor der starke Eric Dier (in seinem erst dritten Länderspiel) in der Nachspielzeit das 3:2 köpfelte, hätten die Engländer schon längst in Führung gehen müssen.

Trainer Hodgson zelebriert Außenseiter-Fußball

Das Spektakel hinterließ frohe Spieler, die aber mehrfach betonten, nun keinesfalls abheben zu wollen. "Ich mach einfach genau das, was ich jede Woche mache. Ich gebe 110 Prozent im Training und hau mich dann im Spiel rein", erklärte Vardy. Und doch steigt das Selbstbewusstsein dieser seit Jahrzehnten gedemütigten Fußballnation. Harry Kane drückte die neue Zuversicht aus: "Es gibt keinen Grund, warum wir nicht alle schlagen könnten."

Die Kommentare zu Hause klingen selbstverständlich euphorischer. Die Sun spricht von einem "legendären Sieg", die Daily Mail gar vom "Wunder von Berlin". Die Hoffnung, endlich einmal bei einem großen Turnier eine richtig gute Rolle zu spielen, sie lebt mal wieder. "Wenn England zu solchen Leistungen in der Lage ist, ist es schwer, nicht eine plötzliche Welle des Optimismus für die Chancen bei der EM zu spüren", meint der Guardian.

Hodgson kann es sich leisten, einen fiesen Außenseiter-Fußball zu spielen

Und warum auch nicht? In der Qualifikation hat die Mannschaft alle Spiele gewonnen, dann auch gegen Spanien und Frankreich gut ausgesehen, nun Deutschland besiegt. Die Schwächen in der Abwehr waren zwar unübersehbar, doch viel wichtiger könnte sein, dass diese Mannschaft frei wirkt von all dem Ballast, den englische Teams stets mit sich herumgetragen haben. Sie kennt nicht die bösen Gefühle und die Häme, wenn es mal wieder im Elfmeterschießen nicht gereicht hat. Und Hodgson drillt die neue Generation bedingungslos auf einen neuen Teamgeist.

Der Trainer kann es sich in dieser Lage ungeniert leisten, einen fiesen Außenseiter-Fußball zu spielen, sich massiv hinten reinzustellen und auf Möglichkeiten zum Konter zu warten. Das ist im modernen Fußball eine wirkungsvolle Art, den Etablierten erhebliche Probleme zu bereiten. So haben die jungen Deutschen damals bei der WM in Südafrika die Welt begeistert.

Der Glaube und der Optimismus, England endlich mit seiner Nationalmannschaft zu versöhnen, wird größer. Auf die Frage, ob dies der größte Abend war als Trainer der Three Lions, antwortete Roy Hodgson: "Ich glaube, die besten Momente kommen erst noch."

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