Kylian Mbappé:Pelé will die Schuhe schnüren

Kylian Mbappé nach dem WM-Finale 2018 Frankreich gegen Kroatien

Final-Torschütze Kylian Mbappé.

(Foto: Getty Images)
  • Frankreichs Kylian Mbappé schießt ein Tor beim Erfolg gegen Kroatien und ist damit nach Pelé der zweite Teenager, der in einem WM-Endspiel trifft.
  • Der 19-Jährige schickt sich an, einer der besten Fußballer der Welt zu werden.
  • Nach dem Finale bekennt er sich - trotz des Interesses von Real Madrid - zu seinem Klub Paris Saint-Germain.

Von Javier Cáceres, Moskau

Kaum, dass er die Kabine verlassen hatte, bekam der junge Mann, der nach dieser WM die vielleicht größte Last zu tragen haben wird, einen Vorgeschmack auf das, was ihn erwartet. Ein Pulk an Journalisten stürzte sich auf ihn; und das Gitter, das den Pulk von den Spielern in der Mixed Zone trennte, brach unter furchteinflößendem Getöse zusammen. Krawumm!

Kylian Mbappé, 19, als bester Nachwuchsspieler des Turniers ausgezeichnet und nun also durch den 4:2-Finalsieg gegen Kroatien Weltmeister, tat einen Satz zurück; Freiwillige rückten an, richteten die Begrenzung wieder auf, stemmten sich von innen gegen sie, auf dass diese nicht wieder zusammenfalle. Und Mbappé versuchte, Einiges zu ordnen, oder genauer: einzuordnen. Zum Beispiel: soeben Erlebtes und Künftiges; soeben erfüllte und womöglich nie erfüllbare Erwartungen; die millionenschweren Gerüchte um seine Zukunft; die Vergleiche mit einigen der besten Interpreten der Geschichte dieses Sports. Und er versuchte es, mit der gleichen kindlich anmutenden Unbekümmertheit zu erledigen, die ihm, seinem Gesicht, vor allem aber seinem Spiel noch immer innewohnt: "Ich versuche nur, so zu spielen, wie ich immer gespielt habe."

Die Last, der Mbappé jetzt schon begegnet, das ist die Last der Historie. Vor allem im Gruppenspiel gegen Argentinien war er der Wiedergänger des echten, des lustigen, brasilianischen Ronaldos gewesen, für den Jorge Valdano, der argentinische Weltmeister von 1986, einmal die perfekte Definition geliefert hatte: "Wenn er angreift, greift eine Herde an."

Pelé macht einen Scherz

Doch die Vergleiche reichen weiter und höher. Denn um in der Geschichte der Weltmeisterschaften auf einen Fußballer zu stoßen, der derart frei von jeder Form der szenischen Angst auf der größtmöglichen Bühne wandelte und so kraftvoll in die Zukunft weist, muss man schon bis ins Jahr 1958 zurückgehen. Bis zum ersten Auftritt von Edson Arantes do Nascimento, genannt Pelé, der damals, bei der WM in Schweden, 17 Jahre alt war, als er den Titel holte. Alle anderen Größen, die folgen sollten, waren älter, als sie auf der WM-Bühne debütierten. Der Portugiese Eusébio war 24, als er 1966 Torschützenkönig wurde; Johan Cruyff 1974 bereits 27. Der Argentinier Diego Maradona wurde 1978, als er 17 war, von seinem Trainer César Luis Menotti in letzter Minute ausgemustert, konnte erst acht Jahre später in Mexiko glänzen und die Trophäe holen, die Mbappé in der Nacht von Moskau küsste. Und auf Nachrichten von Cristiano Ronaldo und Lionel Messi, beide nun schon über 30, hat man bei dieser WM wieder vergeblich gewartet.

So sie am Sonntag vor dem Fernseher saßen, sahen sie, wie dieser Mbappé, am Finaltag 19 Jahre und 207 Tage alt, sich anschickt, seine eigene Tyrannei zu etablieren. Und sie ahnten, dass sich die Eigner der Milliarden-Industrie, die immer neue Gottheiten brauchen, die Hände rieben. Gegen Kroatien traf er mit einem phänomenalen Fernschuss zum 4:1, der den 4:2-Finalsieg der Franzosen vakuumverpackte. Mbappé, der schon am 3:1 von Paul Pogba beteiligt war, wurde mit seinem vierten Turniertor zugleich zum zweitjüngsten Finaltorschützen der WM-Historie. Der Einzige, der ihn in dieser Rubrik übertroffen hat, adelte den Franzosen umgehend per Twitter: "Der zweite Teenager, der in einem WM-Finale trifft. Willkommen im Klub", schrieb Pelé. Und schickte einen Scherz hinterher: "Wenn Mbappé weiter meine Rekorde so egalisiert, werde ich meine Fußballschuhe entstauben müssen."

Mbappé gab die Grüße demütig zurück: "Der König wird immer der König bleiben", sagte er: "Er hat die Geschichte des Fußballs geprägt. Ich versuche nur, meinen Weg zu gehen." Doch er sagte auch einen Satz, der wie eine Warnung klang: "Ich stehe erst am Anfang."

"Ich bleibe zu einhundert Prozent in Paris!", sagt Mbappé

Sein bisheriger Weg hatte ihn schon auf die Titelseiten geführt; zum Beispiel am Tag des Finales auf die erste Seite von L'Équipe. Es war nicht das Konterfei Griezmanns, das die Hoffnungen der Franzosen symbolisierte, auch nicht das von Pogba, Varane, Lloris oder Kanté, sondern: das Gesicht des Mbappé. Er begann mit dem Fußballspielen bei AS Bondy in seinem Heimatort vor den Toren von Paris, wurde für die Jugendakademie des Verbandes rekrutiert und spielte beim INF Clairefontaine, wechselte zum AS Monaco. Dort erregte er nach seinem Profi-Debüt ein derartiges Aufsehen, dass er schon im Sommer 2017 zu einem Gejagten wurde. Am Ende entschied er sich für Paris Saint-Germain, der französische Meister erklärte sich bereit, eine Ablöse von 180 Millionen Euro zu zahlen. Peanuts, womöglich, im Vergleich zu dem jedenfalls, was demnächst für ihn aufgerufen werden dürfte, und vor allem vor dem Hintergrund der inflationären Preisentwicklung auf dem Transfermarkt.

Auch PSG-Präsident Nasser Al-Khelaifi war am Sonntag im Luschniki-Stadion auf der Tribüne. Und der Katari dürfte angesichts der Gerüchte um ein mögliches Werben durch Real Madrid, das den zu Juventus Turin umgezogenen Cristiano Ronaldo ersetzen muss, die Worte von Mbappé mit Genugtuung registriert haben: "Ich bleibe zu einhundert Prozent in Paris!" Das heißt: Er bleibt zumindest vorerst an der Seite von 222-Millionen-Mann Neymar, der ebenfalls im Notizblock von Real steht.

Neymar muss ertragen, dass im eigenen Team ein Rivale heranwächst

Neymar erlitt am Sonntag auch eine Niederlage, so wie die Kroaten. Der Brasilianer war im Sommer aus dem Schatten von Lionel Messi vom FC Barcelona in die Stadt des Lichts geflohen. Nun muss er ertragen, dass in der eigenen Mannschaft ein Rivale heranwächst, der mehr will, immer mehr.

Es sei immer großartig, in einem Finale zu treffen, reflektierte Mbappé mit ruhigen Worten: "Ich habe immer dafür gearbeitet um Momente wie diese zu erleben. Aber das ist nicht das Ende, ich habe den Ehrgeiz, weiter zu kommen. Ich möchte so weit kommen, wie mein Potenzial mich trägt. So jung die WM zu gewinnen, öffnet dir neue Türen." Die Türen zum Paradies, jedenfalls zum Paradies des Fußballs.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: