French Open:Gelassener nach der Messerattacke

Tennis French Open

Fünf Sehnen und zwei Nervenstränge waren betroffen, Kvitovas Heilung dauert noch an

(Foto: dpa)
  • Tschechiens zweimalige Wimbledon-Siegerin Petra Kvitova feiert bei den French Open ihr Comeback, nachdem sie im Dezember von einem Einbrecher an der Hand verletzt wurde.
  • "Es war eine fürchterliche Verletzung", sagte ihr Arzt und Operateur, "das Risiko, dass Finger steif bleiben, war hoch."
  • Sie nahm ein Studium auf, um den Kopf auf andere Gedanken zu bringen und hat nun einen anderen Blickwinkel auf ihren Sport und ihr Leben.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Am 20. Dezember 2016 machte Petra Kvitova einmal zu oft in ihrem Leben die Wohnungstür auf. Später sollte sie sagen: "Ich bin froh, am Leben zu sein." An jedem Tag wurde sie Opfer eines Einbrechers, der sich als Gasmann ausgegeben hatte. Mit dem Messer stach er auf Kvitova ein, er verletzte ihre linke Hand. Kvitova kann noch immer nicht alle Finger zu hundert Prozent bewegen. Fast vier Stunden hatte die Operation gedauert. Nerven waren beschädigt, Sehnen, Muskeln.

An diesem 28. Mai 2017 wurden die French Open aufgenommen, das zweite Grand-Slam-Turnier der Saison. Die Veranstaltung begann um elf Uhr, auch auf dem Center Court. Zwei Frauen betraten den Sandplatz im Court Philippe Chatrier, und als die Partie nach nur 73 Minuten vorbei war, brandete lauter, wohlwollender Applaus auf. Die Siegerin sprach: "Ein Traum ist wahr geworden. Wenn man es mit Herz macht, ist alles möglich." Kvitova, die die Amerikanerin Julia Boserup mit 6:3, 6:2 besiegt hatte, sah sehr glücklich aus. Die 29-Jährige ist jetzt tatsächlich wieder da.

Wenn mehrere hundert Profis in einen Grand Slam starten, ist immer wieder mal eine Herzschmerzgeschichte dabei. Eine solche wie die von Kvitova gab es aber noch nie. Ihre Geschichte bewegte daher die globale Tennisgemeinde. Im Grunde war es unerheblich, ob Kvitova die Weltranglisten-86. bezwingen würde. Dass sie überhaupt zurück ist, einen Monat früher als selbst gedacht, ist die Nachricht an sich. Zwischendurch wusste sie ja nicht, ob sie nochmals würde spielen können. Sie wurde überschüttet mit Glückwünschen und erfreuten Kommentaren, alle hätten ihr gratuliert, sagte sie. Kvitova, eine der sympathischsten Personen auf der Tour, 2011 vom Weltverband ITF zur Spielerin des Jahres gekürt, zweimal Wimbledon-Siegerin, blieb nichts anderes übrig, als seit ihrer Ankunft in Paris oft zu strahlen.

Heilungsprozess in Millimeterschritten

Über den Tathergang an sich durfte sie sich nicht äußern, es liefen die Ermittlungen, der Täter soll weiter flüchtig sein. Aus ihrem Lager wurde aber bestätigt, sie sei zufällig das Opfer geworden, es hätte nichts mit ihrer Prominenz zu tun gehabt. Die BBC berichtete damals, Kvitova habe sich zuhause in Proßnitz mit dem Einbrecher im Badezimmer einen Kampf geliefert, das Messer am Hals, dann Stiche in die Hand. Fünf Sehnen und zwei Nervenstränge waren betroffen. Über all das sprach Kvitova aber nicht, als sie der Öffentlichkeit am Freitag erstmals gegenüber saß und über ihre Zeit danach Auskunft gab. Ihr Heilungsprozess ging buchstäblich in Millimeterschritten voran.

Kvitovas linke Hand lag zwei Monate in einer Schiene, ihre Finger taub, mitgenommen vom komplizierten Eingriff. Als die Schiene abgenommen wurde, schuftete sie jeden Tag. "Jeder winzige Millimeter, den ich schaffte, machte mich glücklich", sagte Kvitova. Ein Handspezialist in Grenoble half ihr durch diesen Prozess, zuhause absolvierte sie die ihr auferlegten Reha-Übungen. Auf dem Standrad hielt sie sich fit. Sie tastete sich behutsam vorwärts. Griff einen Ball. Griff eine Wasserflasche, wie neugeboren. "Das war irgendwie interessant und lustig", sagte sie im Rückblick.

"Wenn der Ball nicht im Feld landet, heule ich nicht mehr"

Im März nahm sie erstmals den Schläger in die Hand. Es sei ein "sehr, sehr seltsames Gefühl" gewesen, "ich hatte damals das Gefühl, der Schläger gehört nicht zu mir." Mit einem Softball fing sie an, wie ein Anfänger am Netz. "Es war eine fürchterliche Verletzung", gab ihr Arzt und Operateur Radek Kebrle in einem Bulletin nun bekannt: "Alle fünf Finger waren betroffen. Das Risiko, dass Finger steif bleiben, war hoch. Außerdem war große Geduld bei der Patientin gefragt." Anfangs hatte Kvitova Albträume. Sah sie Fremde, wurde ihr seltsam zumute. Sie nahm ein Studium auf, um den Kopf auf andere Gedanken zu bringen, Medien- und Kommunikationswissenschaft. "Vielleicht bin ich eines Tages einer von euch", sagte sie zu den Journalisten und lächelte. Viele lächelten zurück.

Kvitova, die von sich sagt, sie sei ein positiv denkender Mensch, arbeitete beharrlich weiter, irgendwann sagte sie sich: "Es wäre toll, wenn ich in Wimbledon spielen könnte." An jenem Ort, an dem sie ihre zwei größten Triumphe erlebt hatte, 2011 und 2014. Als die Wunden verheilt waren und sie ihr Konditions- und Fitnessprogramm intensiver durchziehen konnte, reifte ein neuer Entschluss: Paris. "Es war eine Last-Minute-Entscheidung, hier anzutreten", gab sie zu. Sie habe keine Schmerzen mehr, "aber es fehlt noch Kraft". Ihr Arzt meinte, sie benötige weitere sechs Monate, damit die Hand wieder die alte Hand wird. Aber "egal ob sechs Monate oder zwei was auch immer", sie sehe "das Leben aus einem anderen Winkel heute", sagte Kvitova. "Wenn der Ball nicht im Feld landet, heule ich nicht mehr" - aus diesem Blickwinkel.

Furcht vor Entzündungen in den Fingern

Ihre Erwartungen sind nicht hoch, "ich habe meinen größten Kampf gewonnen", sagte sie. Sie trainiere hart, aber noch nicht extrem, sie fürchte Entzündungen in den Fingern. Von Vorteil sei, dass sie ihre Technik nicht ändern müsse. Kvitova kommt ihr Stil zupass, sie erzeugt ihre harten Grundlinienschläge vor allem über den Schwung, weniger mit Muskelkraft. Gegen Boserup zog sie ihr typisch aggressives Spiel auf. 31 direkte Gewinnschläge drückten ihre Überlegenheit aus. "Ich war selbst überrascht", sagte Kvitova danach. "Ich war aber auch besonders motiviert."

Auch ihr Team fieberte mit, die Eltern waren in der Box, Freunde, natürlich auch ihr neuer Trainer Jiri Vanek, der kurz vor der Attacke zu ihr gestoßen war. Sie alle trugen ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Mut. Glaube". Petra Kvitova dachte, sie würde weinen, überwältigt vom Moment da draußen. Aber sie weinte nicht. Denn sie weiß ja, dass sie wieder eine Sportlerin bei der Arbeit ist.

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