Fußball-WM:Wie Italien doch die WM entscheidet

  • Bei Kroatien spielen bei der WM mehrere Profis mit, die früher in der Bundesliga spiuelten.
  • Im Halbfinale tun sich vor allem der frühere Bayern-Stürmer Mandzukic und der ehemalige Wolfsburger und Dortmunder Perisic hervor.

Von Javier Cáceres , Moskau

Auch der Wille ist eine Qualität im Fußball; das Element, das über ein Spiel entscheiden, einen Sieg herbeiführen, einen Finaleinzug bei einer Weltmeisterschaft bewerkstelligen kann. Und viel davon war in der zweiten Hälfte der Verlängerung des Halbfinals zu sehen, das England und Kroatien austrugen.

Es lief die 108. Minute, als Josip Pivaric, der erst in der Verlängerung als erster Kroate im gesamten Spiel (!) eingewechselt worden war, von der linken Außenbahn eine Flanke in den Strafraum schlug und ein englischer Verteidiger den Ball grobschlächtig und hoch zurückschlug.

Zwei Männer hätten des Balles habhaft werden können. Kieran Trippier, der eine Ewigkeit zuvor, schon in der fünften Minute, mit einem wundervollen direkten Freistoß Englands Führung erzielt hatte. Und Ivan Perisic. Nur der Kroate sprang wirklich hoch, nur er brachte noch Wille und eine enorme Kraft auf: Er siegte im Luftduell mit Trippier und servierte Mario Mandzukic den Ball so gekonnt, dass der Mittelstürmer Zeit und Raum hatte, um das linke Bein durchzuladen und mit einem Volleyschuss das 2:1 zu erzielen, das Kroatien ins Finale gegen Frankreich brachte. "Wir haben einen bemerkenswerten Charakter", fasste Perisic alles zusammen, was nicht nur zu diesem in der 109. Minute entschiedenen Spiel, sondern zur Turnierleistung der Kroaten insgesamt zu sagen ist.

"Die Italiener sind entscheidend", jubelte La Gazzetta dello Sport; "die italienischen Kroaten fabrizieren den Brexit", freute sich der Corriere dello Sport.

Perisic spielt jetzt bei Inter Mailand

Der Grund: Perisic, der auch das 1:1 (68.) erzielt hatte, ist seit 2015 bei Inter Mailand unter Vertrag; Mandzukic stürmt seither bei Juventus Turin. In früheren, gar nicht so lange zurückliegenden Zeiten hätte man diese Halbfinal-Geschichte auf die Bundesliga münzen können. Mandzukic und Perisic trugen sogar, wenn auch nicht in denselben Spielzeiten, das Trikot des selben Vereins: VfL Wolfsburg; Mandzukic war anschließend noch von 2012 bis 2014 beim FC Bayern, Perisic vor seiner Wolfsburger Zeit bei Borussia Dortmund aktiv.

Die beiden Torschützen sind nicht die einzigen Spieler mit Spurenelementen, die heute noch in ihre Bundesligaphase zurückreichen. Der in der Schweiz aufgewachsene Ivan Rakitic war von 2007 bis 2011 bei Schalke 04, ehe er sich beim FC Sevilla auf seine inzwischen vierjährige Zeit beim FC Barcelona vorbereitete. Momentan sind noch zwei Stürmer, Ante Rebic (Frankfurt) und Andrej Kramaric (Hoffenheim), in der Bundesliga angestellt, die allerdings als Zulieferbetrieb für WM-Finalisten keine sonderlich große Rolle spielt.

Bei den Franzosen zählen ebenfalls zwei Profis zum engeren Kreis: Rechtsverteidiger Benjamin Pavard (VfB Stuttgart), der es im Endspiel mit Perisic zu tun bekommen dürfte, sowie der zentrale Mittelfeldspieler Corentin Tolisso vom FC Bayern München.

Um seine Bundesliga-Vergangenheit ging es nicht mal ansatzweise, als Perisic in der Nacht zum Donnerstag im Luschniki-Stadion vor der Presse saß. Dafür wurde er nach einem Detail seiner Biografie gefragt, das an den Anfang seiner Profikarriere verweist. Und welches das Spiel gegen Frankreich für ihn auch persönlich zu einem besonderen machen dürfte, obwohl er darüber ("Ein schwieriges, persönliches Thema") eigentlich gar nicht reden wollte. Denn das Erreichen dieses WM-Finals, das eine Neuauflage des Halbfinales von 1998 ist (Frankreich siegte damals 2:1), sei doch allein bedeutsam genug.

Mit einer Hühnerfarm im finanziellen Engpass

Als er 17 war und schon bei Hajduk Split herausstach, klopfte der FC Sochaux an. Perisics Vater drängte ihn dazu, das Angebot anzunehmen, denn dieser war mit einer Hühnerfarm in einen finanziellen Engpass geraten. Das erste Profigehalt boxte die Familie aus der Notlage heraus. Wenn man so wolle, spiele er dann nicht gegen das Land, das seiner Familie geholfen habe, wurde er gefragt. "Keiner könnte glücklicher sein als ich, gegen Frankreich im Finale zu spielen", sagte Perisic. Er fügte an, dass seine Mutter sich die Endspielbegegnung nicht nur gewünscht habe: "Sie hat davon geträumt, dass es so kommen würde."

Es gibt Luka Modric und Ivan Rakitic, die kongenialen Mittelfeldpartner, aber es gibt eben auch: Ivan Perisic, 29, der eine überragende WM spielt. Überhaupt scheinen ihm die großen Turniere zu liegen. Mittlerweile war er an zehn kroatischen WM- oder EM-Toren beteiligt, sechs erzielte er selbst. Er ist damit auf einer Stufe mit dem heutigen Verbandspräsidenten und früheren Stürmer Davor Suker (neun Tore, eine Vorlage). Und: Er ist ein Beispiel für die absurde Aufopferung der Kroaten.

Perisic lief in den 120 Minuten von Moskau nicht weniger als 14,5 Kilometer und setzte zu 78 Sprints an. Nur Rakitic, der am Vorabend der Partie 39 Grad Fieber gehabt haben will, und der defensive Mittelfeldspieler Marcelo Brozovic übertrafen ihn. Rakitic lief 14,6 Kilometer, Brozovic 16,3. Damit trieben sie einen Schnitt hoch, in dem sie den Engländern unterlegen waren. Laut Statistik liefen die Kroaten 13,7 Kilometer; die Engländer hingegen 15,7 Kilometer. Dafür hatten die Kroaten aber, über das gesamte Spiel betrachtet, die sensibleren Füße und das cleverere Spiel.

Die Engländer waren vor allem darauf aus, die so genannten zweiten Bälle zu gewinnen, Abpraller in Kroatiens Abwehr zu provozieren, um so zu Chancen zu kommen. Die kroatischen Treffer hingegen fielen aus dem freien Spiel heraus: "Wir haben den Ball kontrolliert", sagte Perisic. Belohnt werden sie mit dem Finale gegen die Franzosen - angetrieben vom Traum aller, dass es dazu kommen könne.

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