Kroatien:Tufan hat die Haare schön

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"Er ist einer der besten Spieler der Geschichte unseres Landes": Kroatiens Nationaltrainer Ante Cacic ist wie so viele Experten voll Lobes über Luka Modric (Nr. 10).

(Foto: imago)

Der brillante Luka Modric profitiert bei seinem Siegtor von türkischer Eitelkeit.

Von Javier Cáceres, Paris

Es gibt Zeitlupen, die können tödlich sein. Solche, die ein Fehlverhalten in seine Einzelteile zerlegen. Unerbittlich und dramatisch langsam. Seit Sonntagabend weiß das Ozan Tufan, Mittelfeldspieler bei Fenerbahce Istanbul und der türkischen Nationalelf, nur zu gut. Denn was das bloße Auge bei der 0:1-Niederlage der Türken nicht sah, erspähte eine Hintertorkamera, deren Bilder Tufan einer formidablen Lächerlichkeit preisgaben. Sie legte bloß, dass Tufan beim Siegtor des Kroaten Luka Modric vom Sonntag im Auftaktspiel der Gruppe D eine bestens durchgestylte Statistenrolle gespielt hatte.

Mittelfeldspieler Selcuk Inan hatte gerade einen Flankenball mehr schlecht als recht geklärt, als Tufan sich am Strafraum gemächlich umdrehte und sich nicht etwa auf den wenige Meter entfernten Modric stürzte, obwohl dieser schon das Schussbein durchlud. Tufan fuhr sich stattdessen mit der linken Hand durchs Haar. Er strich sich den Schopf nach hinten, immerhin ohne einen Taschenspiegel zu zücken. Derart unbedrängt, traf Modric volley aus reichlich 20 Metern, und als der Ball im Netz gelandet war, schaute Tufan immerhin entgeistert genug, dass der begründete Verdacht besteht, es sei ihm nicht wichtig, dass er auf den Fotos nun wohlfrisiert aussieht. Strukturell erinnerte der Fall an Roberto Carlos, der bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland seinen Teil zu Brasiliens Viertelfinal-Aus beitrug, als er sich die Strümpfe richtete, statt sich auf einen Freistoß der Franzosen zu konzentrieren; Thierry Henry stahl sich damals im Rücken der brasilianischen Abwehr davon und traf zum 1:0.

Für die Türken ist die EM immerhin noch nicht vorbei. In den verbleibenden Spielen der Gruppe D gegen Spanien und Tschechien haben sie die Chance, die Pleite gegen Kroatien wettzumachen und noch ins Achtelfinale vorzurücken.

So hemmungslos absurd das Abwehrverhalten von Tufan war, so schulbuchmäßig war Modrics Aktion: instinktsicher, ohne zwei mal nachzudenken oder auch nur einen Gedanken an die eigene Zottelfrisur zu verwenden, hielt er mit vollem Risiko aufs Tor. Es war die einzige Entscheidung, die bei einem abgewehrten Ball aus der Abwehr statthaft war. "Ich wollte schon ins Tor treffen", sagte Modric später, als er im Prinzenparkstadion von Paris wieder den Einreiher des kroatischen Verbandes übergestreift hatte. Dass er den Ball eher unorthodox traf, war ihm reichlich egal. Er toupierte den Treffer auch nicht zum Tor des Jahres hoch. Vielmehr plädierte er für mildernde Umstände für Torwart Volkan Babacan. Der Torwart habe den Ball spät gesehen, zudem habe die tückische Flugbahn dazu beigetragen, dass der Ball genau vor dem Keeper aufsprang und diesen schlecht aussehen ließ.

In jedem Fall untermauerte das Tor den immer erstaunlicheren Ruf Modrics. Er wurde 2012 vom portugiesischen Trainer José Mourinho von Tottenham Hotspur zu Real Madrid geholt; weil seinerzeit noch der deutsche Nationalspieler Mesut Özil (heute FC Arsenal) beim spanischen Rekordmeister unter Vertrag stand, wollte niemand so recht verstehen, warum damals Mourinho auf den Einkauf Modrics bestand. In Madrid wurde gar vermutet, Mourinho sei es nur darum gegangen, den damaligen Tottenham-Trainer André Vilas-Boas zu sabotieren.

Johan Cruyff hatte Modric vor Jahren auch dem FC Barcelona empfohlen

Vilas-Boas, ebenfalls Portugiese, wurde damals von der Presse als der neue Mourinho gefeiert - bis er, um seinen besten Spieler beraubt, seinen Stern sinken sah. Anfangs spielte Modric kaum bei Real Madrid. Doch seine Klasse, seine Anpassungsfähigkeit und seine Spielintelligenz sind viel zu groß, als dass ihm eine Reservistenrolle gerecht werden würde. Sein strategischer Einfluss auf das Spiel Reals wächst von Monat zu Monat.

Lediglich unter Trainer Rafael Benítez hatte Modric zu Beginn der letzten, mit dem Champions-League-Finalsieg von Mailand gekrönten Saison eine schwierige Zeit. Benítez hatte sich in den Kopf gesetzt, Modric eine Marotte abzugewöhnen: die Annahme des Balles mit dem Außenrist. Akademisch nachvollziehbar ist das schon: Nimmt man den Ball mit dem Innenrist an, deckt der Körper das Spielgerät quasi automatisch ab, nimmt man den Außenrist, hat der Gegner eher Zugriff. Modric wunderte sich über den Ratschlag, aber klagte nicht, er gilt als vorbildlich, professionell, arbeitsam, diszipliniert. Der im Januar durch Zinédine Zidane ersetzte Benítez aber schaufelte sich mit dem Ratschlag sein eigenes Grab.

Dass ausgerechnet er Modric Fußballspielen beibringen wollte, galt in Reals Kabine als Lästerei an einem Fußballer, den der unlängst verstorbene Niederländer Johan Cruyff vor Jahren dem Rivalen FC Barcelona empfohlen hatte. "Er ist einer der besten Spieler der Geschichte unseres Landes", sagte Kroatiens Coach Ante Cacic, dessen Team in einer hervorragenden zweiten Halbzeit gegen die Türkei seinen Status als Geheimfavorit unter Beweis stellte.

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