Kroatien:Dinamo gegen Hajduk

EURO 2016 - Group D Czech Republic vs Croatia

Vergeblich an die Vernunft plädiert: Die kroatischen Spieler Ivan Perisic und Ivan Rakitic wagen sich zu den Zuschauerrängen.

(Foto: Sergey Dolzhenko/dpa)

Der kroatische Fußball verlagert seine tief in die Politik hineinreichenden Probleme auf die Tribüne des Stadions in St. Étienne. Nun drohen Uefa-Sanktionen.

Von Tobias Schächter , St. Étienne

Ivan Rakitic hat sich am Sonntag mit milden Worten an jene gewandt, die auch über seine Zukunft entscheiden. "Ich hoffe, dass die Uefa eines versteht", sagte der Spielmacher Kroatiens und des FC Barcelona in einem Statement, das der kroatische Verband veröffentlichte, "wir möchten unseren Traum hier weiterleben. Und das ist, am Dienstag gegen Spanien zu spielen und danach in die nächste Runde einzuziehen." Der Traum ist in Gefahr.

Am Freitagabend war aus dem Geheimfavoriten Kroatien eine verunsicherte Mannschaft vor dem Turnier-Aus geworden, doch mit Sport hatte das wenig zu tun: Während des Spiels gegen Tschechien (2:2) waren in der 85. Minute aus der Kurve der kroatischen Fans bengalische Feuer auf den Platz geflogen, anschließend war es zu hässlichen Schlägereien unter kroatischen Anhängern gekommen. Die bis dahin so souveräne Elf verlor nach der Unterbrechung den sicher geglaubten Sieg. Und womöglich verliert sie die Berechtigung weiterzuspielen: Die Disziplinarkommission der Uefa hat ein Verfahren gegen den Verband HNS eröffnet, der Fall wird am Montag entschieden.

Die Verteidigungslinie des kroatischen Verbands ist klar: Die Funktionäre geben der Uefa eine Mitschuld an den Vorkommnissen. Wie, zum Beispiel, konnte so viel Pyrotechnik ins Stadion gelangen? Der Verband habe "in der Vorbereitung auf die Partie alles getan, um Zwischenfälle zu vermeiden", steht in einer Stellungnahme: "Zu diesem Zweck wurden die Uefa und die Polizei vor Hooligans gewarnt." Bei einer Pressekonferenz sagte ein Sicherheitsbeauftragter des kroatischen Verbandes: "Wir haben die Szenen analysiert. Die Leute waren zwischen 18 und 25 Jahren alt. Sie kämpfen gegen die legitime Führung des Verbands - mit Elementen des Terrorismus. Das war ein Angriff auf Kroatien." Auch französische Politiker, etwa der Präfekt des Départements Loire, werfen der Uefa mangelnde Sicherheitsvorkehrungen vor, die Zahl der Ordner sei viel zu gering gewesen.

Gewalt und rassistische Ausfälle auf den Rängen während Spielen der kroatischen Mannschaft führen immer wieder zu Geldstrafen und Zuschauersperren. Die Frage ist, was eigentlich los ist im kroatischen Fußball, dass Ultra-Gruppen das Team seit Jahren sabotieren, nun selbst bei einer Führung in einem EM-Spiel?

Trainer Ante Cacic erinnerte am Freitag an ähnliche Vorfälle bei einem Qualifikationsspiel in Italien vor anderthalb Jahren. Damals, so Cacic, seien auf der Tribüne in Mailand Fans von Hajduk Split zu sehen gewesen, mit Nazi-Symbolen. Durch diese Aussagen suggerierte der 62-Jährige, dass Anhänger von Hajduk nun auch für die Missetaten verantwortlich sein könnten.

Weder die gewaltbereiten Ultras noch der Verband haben Rückhalt in der kroatischen Bevölkerung

Viele kroatische Ultra-Gruppen stellen sich gegen den Verband. Die Bad Blue Boys (BBB) von Dinamo Zagreb beispielsweise hatten vor dem Spiel Aktionen angekündigt. Am Spieltag waren in der Stadt Männer zu sehen, mit T-Shirts, auf denen die Buchstaben des Fußball-Verbandes, HNS, rot durchgestrichen waren. Die verfeindeten Gruppen aus Split und Zagreb eint der Hass auf die Spitze des Verbandes, die sie zu Fall bringen wollen. Die Ultras aus Split, die wiederum eine Art "Freundschaft" mit den Ultras aus St. Étienne pflegen, glauben, dass die Vorherrschaft von Serienmeister Dinamo erkauft und auf dem Rücken ihres Klubs zementiert wurde.

Der ehemalige kroatische Nationaltrainer Slaven Bilic erklärte als Experte des englischen TV-Senders ITV nach den Vorfällen am Freitag: "Es ist ein Konflikt Norden gegen Süden, zwischen Dinamo und Hajduk." Er sagte: "Diejenigen, die das tun, sind auf einer Art Mission." Bilic ist in Split geboren. Die BBB aus Zagreb boykottieren seit Jahren die Heimspiele ihres Klubs Dinamo, weil sie dem langjährigen Präsidenten Zdravko Mamic und seinem Clan vorwerfen, sich durch Spielertransfers zu bereichern und den Klub auszubeuten.

Verbandsboss Davor Suker gilt nicht nur unter Ultras als Marionette von Zdravko Mamic, dem Vizepräsidenten des HNS. Er steht unter Anklage, in der Vergangenheit mindestens 15,5 Millionen Euro bei Transfers von Dinamo-Profis ins Ausland an der Steuer vorbeigelenkt zu haben. Auch Verbandssekretär Damir Vrbanovic steht in diesem Verfahren unter Verdacht, er war viele Jahre mit Mamic bei Dinamo tätig. Beide streiten die Vorwürfe ab. Der übel beleumundete Mamic ist zwar von seinen Ämtern bei Dinamo zurückgetreten, gilt aber noch immer als mächtigster Strippenzieher. Vor ein paar Wochen ist er aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Und Trainer Cacic, der in der Endphase der Qualifikation Niko Kovac abgelöst hatte, ist ein Mann ohne Meriten, aber mit Dinamo-Vergangenheit. In Kroatien heißt es, er sei der Trainer von Mamics Gnaden.

Suker machte derweil die kroatische Politik für die Zustände verantwortlich. Man werde mit dem Problem alleingelassen, sagte er. Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic ächtete die Krawallmacher: "Das sind Staatsfeinde, die ihre Mannschaft und ihr Land hassen: Schämt euch!"

Die Gräben im kroatischen Fußball wirken unüberbrückbar. Die gewaltbereiten Ultragruppen haben keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Auch wenn viele den Verband als korrupt wahrnehmen, werden die Missetaten von St. Étienne verurteilt. Der Vereinsfußball im Land findet fast ohne Zuschauer statt. "Familien und Kinder trauen sich nicht mehr ins Stadion", sagte Bilic, inzwischen Trainer in West Ham. Er fürchtet weitere Ausschreitungen: "Ich denke, das war nicht das letzte Mal, dass so etwas passiert ist."

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