Kritisierte Portugiesen:"So viel Glück ist harte Arbeit"

Lesezeit: 2 min

Wen interessiert es, wie man spielt, solange man gewinnt? In Portugal niemanden! (Foto: Yves Herman/Reuters)

Die minimalistischen Portugiesen sind ein umstrittener Halbfinalist. Ihr Motto: Wen interessiert's?

Von Ulrich Hartmann, Lyon

Manchmal bei einer Europameisterschaft, über die ja sehr viel geredet und geschrieben wird, entstehen in den Medien zufällige Diskurse. Hier sagt einer etwas, auf das woanders einer zu reagieren scheint. Nur nicht über die isländische Mannschaft - bei der sind sich alle einig, dass die "Hu" brüllenden Wikinger toll sind. Portugal hingegen steht schon jetzt als der umstrittenste Halbfinalist fest. Die Portugiesen haben von ihren fünf Turnierspielen kein einziges binnen der regulären 90 Minuten gewonnen. Dreimal Unentschieden in der Gruppenphase, dazu ein 1:0 in der Verlängerung im Achtelfinale gegen Kroatien und ein 5:3 im Elfmeterschießen gegen Polen im Viertelfinale. Mancher Kommentator erweckt deshalb den Eindruck, die Portugiesen sollten freiwillig aufs Halbfinale verzichten, nach dem Motto: Wir haben das gar nicht verdient.

Die französische Stürmerlegende Just Fontaine sagte der Welt: "Dass Portugal ohne einen Sieg ins Halbfinale gekommen ist, ist ein Unding. Womöglich werden die Portugiesen mit ihrer Remis-Taktik auch noch Europameister. Wie absurd - ich möchte darüber nicht weiter nachdenken." Und es klingt fast so, als hätte ihm die portugiesische Zeitung Correio de Manha darauf geantwortet, als sie schrieb: "Man muss zugeben, dass Portugal nicht auf Topniveau spielt. Aber wenn es am Ende reicht - wen interessiert's?"

Sogar Ronaldos Formdelle wird kompensiert

Die Portugiesen jedenfalls nicht. Ihr Minimalismus stört sie nicht. "So viel Glück ist harte Arbeit", sagt der 18-jährige Renato Sanches und bringt Portugals Erfolgskonzept damit auf den Punkt. Die Mannschaft ist technisch versiert, abgeklärt, geduldig und auch nach 120 Minuten Fußball noch geistig auf der Höhe. Sie kompensiert in Frankreich sogar erfolgreich eine Formdelle ihres Kapitäns Cristiano Ronaldo. Er hat bloß gegen Ungarn zwei Tore geschossen, und wenn er sich auch ansonsten keinesfalls hängen lässt, so mangelt es ihm doch an jenen spielentscheidenden genialischen Momenten, durch die er zu dem geworden ist, was er heute darstellt: einen der größten Fußballspieler.

Sechs Tore aus fünf Spielen sind eine mäßige Bilanz für die portugiesische Mannschaft, aber so schlecht und unattraktiv, wie sie bisweilen gemacht werden, spielen die Portugiesen gar nicht. Mit 95 Torschüssen und 2652 Pässen sind sie eine der offensiv aktivsten Mannschaften der EM - aber trotzdem das genaue Gegenteil der im Hurra-Modus ausgeschiedenen Belgier. Denn Portugals Trainer Fernando Santos legt größten Wert auf eine stabile Defensive und auf das Spiel gegen den Ball. Damit ist der laufintensive Hab-Acht-Modus gemeint, mit dem man sich stets dem ballführenden Kontrahenten zuwendet.

Portugals Abwehr dürfte die Waliser mehr fordern als jene der Belgier

Portugals Abwehr strotzt vor Routine. Pepe ist 33, Fonte 32, Eliseu ebenso. Nun bekommen es die Portugiesen im Halbfinale mit Wales zu tun. Die Waliser haben eine indiskutabel schwache belgische Abwehr überrumpelt. Das dürfte ihnen gegen Portugal nicht gelingen. Vermutlich geht es ins Elfmeterschießen, und Just Fontaine, 82, wird seinen Trost im Wohnzimmer daheim in Toulouse im besten Bordeaux-Wein suchen.

Portugal hat es bei fünf Europameisterschaften zuletzt viermal ins Halbfinale geschafft, 2004 sogar ins Endspiel, aber das haben sie mit 0:1 gegen Griechenland verloren. Zum vierten Mal im Halbfinale seit der EM 2000 - das hat keine andere Nation geschafft, nicht mal Deutschland, Italien oder Spanien. Und trotzdem warten Portugal und Ronaldo weiterhin auf ihren ersten Titel. Vielleicht ist es ja doch so, dass ihr Stil eines großen Titels nicht würdig ist. Vielleich belehren sie die Branche diesmal aber auch eines Besseren. "Der Traum rückt immer näher", sagt Cristiano Ronaldo. Es klingt wie eine Drohung.

© SZ vom 03.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: