Kritik an WM 2022 in Katar:Onkel Sepp auf Kugelfang

Joseph Blatter

Da hat er einen aus dem Hut gezaubert: Sepp Blatter bei der WM-Vergabe vor drei Jahren.

(Foto: dpa)

Die Kontroversen um die Fußball-WM 2022 in Katar ufern endgültig aus, sie passen aber ins strategische Konzept von Fifa-Chef Blatter. Dass die politischen Probleme und das Organisations-Chaos nicht schon früher auf der Agenda auftauchten, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Blatter verfolgt weiter ganz eigene Pläne.

Von Thomas Kistner

Die Konfusion ist vollständig. Katar, Veranstalter der Fußball-WM 2022, gerät von allen Gesellschaftsschichten unter Druck. Neben lebensbedrohenden Arbeitsbedingungen an den WM-Baustellen, die von Menschenrechtlern und Gewerkschaften angeprangert werden, rückt das dortige Kafala-System in den Fokus: Ausländische Arbeitnehmer dürfen nur mit spezieller Genehmigung ausreisen. Wie Human Rights Watch der SZ mitteilt, sitzen derzeit mindestens sieben Bürger Europas und der USA im künftigen WM-Land fest; darunter ein Trainer und ein Profi aus Frankreich. Hier berührt die Menschenrechts-Problematik den Fußball direkt.

Das Exekutivkomitee des Weltverbandes Fifa tagt am Donnerstag und Freitag in Zürich, Lösungen für die bizarre Gemengelage sind nicht in Sicht. Zu erwarten ist, dass die Fifa eine Kommission einsetzen wird. Am Ende der Agenda steht die Katar-Frage, nur in Hinblick auf die Terminverlegung. Es wird also palavert, wie sich das Turnier vom glutheißen Wüstensommer in den Winter bugsieren lässt, ohne den Groll der Fußball-Ligen, TV- und Sponsor-Partner zu provozieren, die ihre Kalender im Falle einer Winter-WM schon jetzt vor größte Herausforderungen gestellt sehen.

Wie absurd diese ganze Causa ist, belegt schon der Fakt, dass drei Jahre nach der Vergabe so über eine WM debattiert werden muss - und dies nicht schon 2010 geschah, auf Basis des den 24 Fifa-Wahlleuten vorgelegten Prüfberichts. Der hatte Katar als "Hochrisiko" mit zwei K.o.-Kriterien geführt: die Größe des Landes, die der Nordhessens entspricht, und die Hitze von bis zu 50 Grad.

Nachdem vor der WM-Vergabe zwei Fifa-Wahlleute wegen Korruption suspendiert werden mussten, waren unter den restlichen 22 Funktionären immer noch 14, die sich für die Backofen-WM am Golf begeisterten. Darunter etliche, die ihrem Hang zu windigen Geschäften später zum Opfer fielen. Andere gehören der Fifa-Exekutive noch an, sind aber belastet.

Auf eine dubiose Vergabe deutet nicht nur das Chaos drei Jahre später hin. Jeder wisse, dass "Katar die WM gekauft" habe, mailte Fifa-Generalsekretär Jerôme Valcke schon 2011 einem damaligen Vizepräsidenten. Nicht nur der deutsche Fifa-Vorstand Theo Zwanziger drängte darauf, die Vergabe durch die umorganisierte Fifa-Ethikkommission zu prüfen. Das ist seit längerem der Fall, ohne dass etwas nach außen dringt. Zu befürchten ist bei diesem Gremium, dass es als politisches Instrument von Fifa-Präsident Sepp Blatter fungiert. Ihre angebliche Unabhängigkeit haben die Fifa-Ethiker schon mit den ersten Maßnahmen relativiert. Und Blatter selbst spielt neuerdings Insiderwissen aus.

Jüngst gab er zu, Politiker hätten die Kür Katars "eindeutig" beeinflusst: "Europäische Regierungschefs haben ihren stimmberechtigten Mitgliedern empfohlen, für Katar zu stimmen, weil sie große wirtschaftliche Interessen mit dem Land verbinden." Das ist brisant. Es öffnet den Weg für Ermittlungen. Der "eindeutige" Hinweis bezieht sich auf Nicolas Sarkozy.

Frankreichs damaliger Staatschef lud vor der Fifa-Wahl den Emir von Katar zum Dinner in den Elysee-Palast und holte Michel Platini dazu, Fifa-Vize und Chef der Europäischen Fußball-Union Uefa. Tage später wählte Platini Katar, sein Sohn wurde bald darauf von Katars Sportinvestment-Fond QSI angeheuert. Laut Platini lief das alles strikt unabhängig voneinander ab. Müsste das, eingedenk der Fifa-Ethikreform, nicht in eine Ermittlung münden? Die würde Platinis Ambitionen auf eine Fifa-Thronkandidatur 2015 schaden.

Platini vs Blatter - wer gewinnt?

Platini hält sich die Option ausdrücklich offen, und er ist der Einzige, der Blatter ernsthaft herausfordern könnte - oder einen Kronprinzen Blatters. Platini hat diese Rolle verloren, die zwei Freunde und Helfer von einst sind heute scharfe Widersacher. Mit der Verwicklung in den Katar-Komplex stellt Blatter nun eine Schwäche Platinis aus. Käme es 2015 zu einer Kampfkandidatur, könnte dem Amtsinhaber zur Not eine Ermittlung samt Suspendierung des Herausforderers helfen. So widerfuhr es Mohamed Bin Hammam vor der Präsidenten-Kür 2011. Der Katarer warb um Blatters Thron; kurz vor der Wahl wurde er wegen Korruptionsverdachts suspendiert.

Das Duell der Granden führt zum mysteriösesten Punkt. In die Nesseln gesetzt hat sich ja nicht Blatter, der Katar nicht zugetan ist und Bin Hammams Attacke nachträgt. Sondern Katar-Wähler Platini, der seit zwei Jahren die Winter-Verlegung betreibt. Doch seit Juli spielt Blatter plötzlich den Kugelfang für ihn. Der Fifa-Chef trommelt für die Winter-WM und kündigte sogar an, sein Vorstand wolle den Weg in den Winter freimachen.

Dabei gab derselbe Blatter bis März den von Katar düpierten Mitbewerbern USA, Japan, Südkorea, Australien eindeutige Signale. Was die Winter-WM betrifft, "könnte die Fifa-Exekutive ein Problem haben", falls die Mitbewerber klagen: Die hätten ja nur für Juni/Juli 2022 kandidiert. Des Präsidenten klarer Hinweis auf juristische Nöte der Fifa heißt für die Verlierer: Klagt, dann steht die Chance für eine Neuvergabe der WM sehr gut.

Und nun? Will Blatter Platini und Katar wirklich aus der Patsche helfen? Was ist mit den angedrohten Klagen; was mit der Wut der Fußballgemeinde, die fast einheitlich gegen die Winter-WM opponiert?

Blatter weiß, wie trüb es um die Katar-WM steht. Nicht nur die Fifa-Ethiker untersuchen, auch Ermittlungsinstanzen in aller Welt spüren Katars Bewerbungs-Praktiken nach; darunter das FBI. Es hat den im Mai abgetretenen Fifa-Vorstand Chuck Blazer (USA) ebenso am Wickel wie den Sohn des Affären-umwitterten Ex-Vorstandes Jack Warner (Trinidad); angeblich kooperieren beide mit den Ermittlern. Die spüren Geldwegen in der Karibik und anderswo nach; es geht um Betrug und Geldwäsche. Ob da noch etwas kommen könnte?

Es ist viel Zeit bis 2022. Einig ist sich die ganze Branche darüber, dass eine Sommer-WM nicht funktioniert. Und ein Winter-Turnier ist so problematisch, dass es auch wenig realistisch erscheint. Die Fifa aber läuft kein Risiko, zunächst diesen Weg zu gehen. Ihr Chef dürfte wissen, wie die Sache am Ende ausgeht.

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