Kritik an Beckham:Eine Kluft, groß wie der Grand Canyon

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In England entwickelt sich eine Debatte um den einst unantastbaren Kapitän David Beckham.

Raphael Honigstein

Sam Allardyce, der Trainer der Bolton Wanderers, wäre gerne der nächste englische Nationaltrainer geworden.

Die Wahl fiel aber im Mai auf Sven-Göran Erikssons Assistenten Steve McClaren, und Allardyce war so beleidigt, dass er den Medien einige Details seines Job-Interviews zuspielte; unter anderem habe man ihn mit dem folgenden theoretischen Szenario konfrontiert: "David Beckham kommt mit dem Handy am Ohr in die Kabine. Wie reagieren Sie?"

Über seine Antwort ist nichts bekannt, die Frage aber spricht Bände. Sie verrät viel über das schon seit längerem recht zwiespältige Verhältnis zwischen England und seinem Kapitän.

Treue Krieger oder edle Kapitäne

Für die Sponsoren des Verbands, die nach dem Fiasko des Wembley-Neubaus und den damit verbundenen Einnahmeverlusten in Millionenhöhe noch wichtiger geworden sind, ist er nach wie vor der wichtigste, wertvollste Spieler. In den Verträgen, die die Verwertung der Freundschaftsspiele regeln, soll sein Mitwirken garantiert sein.

Auch die englische Fußball-Presse geht seit Jahren größeren Zweikämpfen aus dem Weg. Man hat ihn kaum attackiert, der Respekt vor dem, was er geleistet hat, ist groß.

Beckham, der erste globale Pop-Star in Stollenschuhen, hat den englischen Fußball erneuert. Vor ihm waren Kapitäne entweder treue Krieger (Terry Butcher, Tony Adams, Alan Shearer) oder edle Ritter (Gary Lineker); der unheimlich begabte Ballkurven-Bieger aus Leytonstone, Ostlondon, war der erste Spielführer der Neuzeit, der sich über seine technische Qualität definierte.

Er hat dem Spiel neue Märkte erschlossen. Fußball war plötzlich Lifestyle, ein noch attraktiveres Produkt, und der ursprüngliche Widerspruch war aufgelöst, denn sein Glanz speiste sich ja aus fußballerischer Substanz. Beckham war nie wie Zinedine Zidane oder Eric Cantona; rennen, flanken und Freistöße schießen konnte er dafür wie kein Zweiter. Auf seine Art spielte er fast so gut, wie er aussah.

Miserabel in Asien

Wenn man Spieler an ihren Höhen messen würde, wäre Beckham fraglos einer der besten Welt. 2001, in der WM-Qualifikation gegen Griechenland, machte er das Spiel seines Lebens, in letzter Minute setzte er einen Freistoß in den Torwinkel. Das ist fünf Jahre her.

Es folgten: eine miserable WM in Asien, eine miserable EM in Portugal mit zwei verschossenen Elfmetern, drei titellose Jahre in Madrid. Sein Spiel ist der Marke Beckham nicht gerecht geworden, nie mehr. "Nie zuvor war die Kluft zwischen dem Talent eines Sportlers und seinem Berühmtheitsgrad größer", schrieb der Observer vor dem Turnier.

"Beckhams letzte Chance" stand über dem Text; nach der Vorrunde sieht es so aus, als würde der 31-Jährige sie wieder nicht nutzen können. Die Kluft droht, zum Grand Canyon zu werden.

Die Fans von Real Madrid mögen ihn, weil er im galaktischen Ensemble mit bodenständigem Einsatz und protestantischer Arbeitsmoral auffiel. Er rannte mehr als die Kollegen, war stets fitter als sie, aber dieser Vorsprung entpuppt sich derzeit als relativ. Im englischen Team ist er der Erste, der schnauft; es sieht aus, als ob er mit zwei gezerrten Oberschenkeln auf dem Platz steht.

In seiner besten Zeit kam er selten am Gegenspieler vorbei - Dribbeln hatte er nicht im Programm. In Deutschland hat er gar nicht versucht, bis zur Grundlinie durchzustoßen, zehn Meter hinter der Mittellinie hört so Englands Mittelfeld auf.

"Hollywood-Bälle"

Von dort schlug er teilweise wunderschöne, diagonale Pässe und gute Flanken; "Hollywood-Bälle" nannte sie sein früherer Jugendtrainer in Manchester, weil sie ihn ins Scheinwerferlicht rückten und die Mitspieler in den Schatten.

Die heftige Debatte über die zu vielen langen Bälle auf Stürmer Peter Crouch, die die Kollegen aus dem Spiel nehmen und das Spiel immer wieder in die Breite ziehen und sehr langsam machen, ist eine heimliche Debatte über ihn.

"Es gab eine Zeit, da wurden Spieler nur nach ihrer Leistung aufgestellt . . .", begann der Artikel des ehemaligen Arsenal-Profis Alan Smith im Daily Telegraph am Donnerstag, und der Rest war eine sehr sachliche Analyse des Abstiegs eines Superstars.

Nur vereinzelt trauen sich die Kritiker aus der Deckung, man will es sich mit Beckham nicht zu früh verscherzen. England könnte ja trotz allem weit kommen. Michael Owens Ausfall, den Eriksson wohl mit einem 4-5-1-System kompensieren will, also mit nur einem Stürmer, hat seine Position gefestigt.

Beckham kann nicht auf der Bank sitzen, schon gar nicht für Owen Hargreaves. Aber im Hintergrund bringen sich schon John Terry und Steven Gerrard für seine Nachfolge in Position. Letzterer hat sich laut Sun am Mittwoch heftig mit Beckham gestritten - der hatte angeblich wieder zu viele lange Bälle gespielt.

© SZ vom 23.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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