Krisenklub TSV 1860:Wie Poschner unter Kontrolle gebracht wird

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"Natürlich ist Unruhe da": Daniel Adlung (links) und Rodri bei konzentrierten Dehnübungen in der ersten Trainingswoche. (Foto: Eibner/imago)

Für Einkäufe braucht der umstrittene Sportchef des TSV 1860 München die Zustimmung des neuen Präsidiums. Das lässt sich von einem neuen Sportbeirat beraten - und der lehnte bereits einen Transfer ab.

Von Sebastian Fischer und Philipp Schneider

Der Löwe schaut mit blauen Augen durchs Gestrüpp, friedlich sieht er aus. Er ist ein beliebtes Fotomotiv, Kinder blinzeln in die Sonne und lächeln, Mütter sind stolz. Wann ist denn schonmal der Mannschaftsbus eines Fußball-Zweitligisten hier, wann darf man sich schonmal vor dem Löwen fotografieren lassen, der darauf prangt? Es ist aber auch ein Idyll, dieses Bild: Das Hotel wie im Märchen, Balkons aus Ebenholz, eine Löwenfahne weht im säuselnden Wind, dahinter die Gipfel des Bayerischen Walds.

Ja, der TSV 1860 München ist jetzt im Trainingslager. Die Fußballer dieses Vereins, der in den letzten Wochen vor dem Kollaps stand, zwischenzeitig führungslos war und noch immer wie gefangen scheint in den Händen des Investors Hasan Ismaik, bereiten sich jetzt tatsächlich auf die Saison in der zweiten Bundesliga vor, ein bisschen wie eine normale Fußballmannschaft. Und zwar an einem Ort, wo pro Quadratkilometer 73 Menschen wohnen, Bodenmais, Kreis Regen. Deutlicher hätte kein Spieler, hätte nicht Trainer Torsten Fröhling oder Sportchef Gerhard Poschner sagen können, was sich dieser Verein gerade sehnlichst wünscht: Ruhe.

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Doch ruhig ist es natürlich nicht, trotz der zwei Stunden Busfahrt, die zwischen München und Bodenmais liegen. 22 Spieler trainierten für den TSV 1860 am Mittwoch, inklusive der Testspieler Aias Aosman und Milos Degenek. Nicht gerade viele, und, das ist das Dilemma, noch dieselben, die in der vergangenen Saison ihre Ziele so deutlich verpasst haben. Klar: Es müssten eigentlich Zugänge her, möglichst bald.

Doch am Mittwoch war dann erst einmal von Abschieden die Rede. Zum Beispiel dem von Verteidiger Martin Angha, der nicht mitfahren wollte ins Trainingslager, er will weg. Angha hatte einst 250 000 Euro gekostet, als er vom 1. FC Nürnberg kam, deshalb will Poschner eine Ablöse haben. Es gibt einen Interessenten, am Abend war der Transfer aber noch nicht bestätigt.

Die Spieler wollen all das natürlich ausblenden, positiv denken. Sie haben vor ein paar Wochen ja immerhin den Abstieg in die dritte Liga verhindert, ein Erfolg im Misserfolg, aber doch ein Erfolg. Sie wollen nicht akzeptieren, dass die nächste Saison schon wieder im Chaos beginnt und allerorts nur negativ über Sechzig gedacht und gesprochen wird. Sie winkten einander fröhlich zu von den Ebenholzbalkons, Daniel Adlung saß vor dem Training in der Lobby und erklärte grinsend, Zugänge sollten natürlich bis zum ersten Spieltag da sein, außerdem: "Wie ich das mitbekommen habe, sind wir handlungsfähig."

Im Urlaub schaute Daniel Adlung regelmäßig nach, wer überhaupt noch da ist beim TSV 1860

Doch mit der Handlungsfähigkeit ist es wie mit der Ruhe: nicht ganz so einfach. Für jegliche beabsichtigte, halbwegs kostspielige Transferbewegung braucht Poschner - den bekanntlich alle Vereinsvertreter entlassen wollten, Ismaik aber nicht - die Zustimmung vom Übergangspräsidium um Siegfried Schneider und Karl-Christian Bay.

Schneider hat nun weitere Schlüsse aus der sportlichen Trümmersaison gezogen und einen Beirat mit verdienten Löwen um Karsten Wettberg, den König von Giesing, ins Leben gerufen. Um sich beraten zu lassen. Und wohl auch, um Poschners Arbeit zu kontrollieren, die ja zuletzt alles andere als erfolgreich war. Nach SZ-Informationen hat das Kompetenzteam einen Transfer bereits abgelehnt. Poschner traf am Mittwoch in Bodenmais ein, als die Spieler schon trainierten. Auf die Frage, ob er behindert werde, sagte er: "Das wäre natürlich sehr kontraproduktiv." Und so müsste er das ja auch sehen. Hinter sich her zog er einen Rollkoffer, vielleicht mit dem ausgearbeiteten neuen sportlichen Konzept, das er Schneider dem Vernehmen nach in den kommenden Tagen erst einmal präsentieren muss. Er gab sich Mühe, zu lächeln.

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Etwas bemüht lächelnd erklärte auch Adlung die anstehenden Aufgaben. Der 27-Jährige ist ja einer der Spieler, die durchaus glaubhaft von einem Neuanfang sprechen können. Bei Trainer Ricardo Moniz war der Offensivspieler unbeliebt, unter Fröhling dann einer der wichtigsten Akteure, ein Stützpfeiler in der ansonsten jugendlichen Mannschaft, Torschütze in der Relegation. Er habe im Urlaub immer mal wieder nachgeschaut, wer gerade angeblich entlassen war oder wieder nicht. Oder zurückgetreten und dann doch wieder im Amt.

"Natürlich ist Unruhe da", aber schlechte Stimmung fürchtet er nicht. Die Fans, sagt er: "Die haben ja nicht gegen die Mannschaft protestiert." Die Fans demonstrierten gegen Poschner.

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Wettberg auch. Den Spielern war im Trubel der vergangenen Tage vor allem wichtig, dass der Vertrag mit Fröhling verlängert wurde. Ein stärkerer Trainer, den Ismaik forderte? Ein Sportchef Felix Magath, den die Vereinsvertreter wollen? "Wenn irgendjemand eine andere Idee hat, dann ist das so", sagte Adlung. Er klang nicht begeistert von diesen Ideen. "Unser Trainer musste eine Mannschaft übernehmen, die nicht in Takt war, und er hat es geschafft, eine gute Atmosphäre zu schaffen."

Gute Atmosphäre. Nach dem ersten Training in Bodenmais ließ Adlung noch Fotos schießen, Kinder im Arm. Und im Hintergrund der Bayerische Wald.

© SZ vom 25.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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