Krisen in Freiburg und Frankfurt:Erdrückt von der Last des Doppellebens

SC Freiburg - VfB Stuttgart

Müde und freudlos: Immanuel Höhn vom SC Freiburg nach dem 1:3 gegen Stuttgart.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Donnerstags in Europa unterwegs, sonntags bittere Niederlagen in der Bundesliga: Der SC Freiburg und Eintracht Frankfurt bezahlen ihre schönen Europa-League-Reisen mit dem harten Alltag in der Fußballrealität - und der bedeutet Abstiegskampf.

Von Philipp Selldorf

Thomas Tuchel ist ein anspruchsvoller Fußball-Lehrer mit Neigung zum Akademischen, selbst Trainingsspiele gestaltet er als Taktik-Kurse. Vor der Begegnung mit Eintracht Frankfurt am Sonntag stellte er jedoch eher simple Rezepte aus, Tuchels Kernthese: "Von der ersten Minute an aufs Gas drücken und bis zum Schluss das Tempo hochhalten!" Den Gegner müde zu laufen, das war das Ziel. In der 88. Minute gelang Choupo-Moting der Treffer zum Mainzer 1:0-Sieg.

Eintracht Frankfurts Elf hat in den vergangenen anderthalb Jahren stilistisch große Fortschritte gemacht, zurzeit sind ihre Geheimnisse aber auch für Beobachter ohne Fußballdoktortitel leicht zu entschlüsseln. Unter der Doppelbelastung von Europacup und Bundesliga "ächzt die Mannschaft wie ein alter Baum im Sturm", hat die Frankfurter Rundschau festgestellt. Tuchel hat diese Einschätzung schon vor dem Nachbar-Duell gern bestätigt: "90 Minuten Bundesliga können im Herbst schon mal schwerer fallen", bemerkte er hinterlistig.

Kollege Armin Veh musste ihm nach der Partie beipflichten, in Mainz fing seine Eintracht zum fünften Mal in dieser Saison in den Schlussminuten ein Tor, das Punkte kostete. Kein Zufall, weiß Veh: "Ab der 75. Minute haben wir ein Problem. Da kriegen wir unser Spiel nicht mehr durch, da fordern wir den Gegner nicht mehr so - und der weiß, dass wir müde werden."

Wer es immer noch nicht glauben wollte, dem haben am Sonntag Frankfurt und der SC Freiburg in aller Deutlichkeit vorgeführt, wie die Freuden des Europacups die Saison eines Klubs ruinieren können, sofern er nicht die Lasten des Doppellebens aushält. Zwei Stunden nach der Eintracht musste sich auch Freiburg nach schwerem Kampf geschlagen geben, beim 1:3 gegen den VfB Stuttgart rannte der SC mit aller Gewalt dem missratenen Start hinterher - nach zehn Minuten stand es schon 0:2 - , bis der erstaunliche Timo Werner mit dem 3:1 für Stuttgart den Schlusspunkt setzte.

Den Rest des Abends verbrachte Freiburgs Coach Christian Streich mit feierlichem Wehklagen. Diese aufreibenden Wochen zerren an den Nerven des 48-Jährigen, der zuletzt nur Triple-Sieger Jupp Heynckes den Vortritt lassen musste bei der Wahl zum Trainer des Jahres. Streich hatte sein Team zum Jahreswechsel 2011/2012 auf einem Abstiegsplatz übernommen und es im Frühling 2013 bis in die Europa League geführt - nun muss er erleben, wie sich der Sportclub nach all den Plünderungen durch die Konkurrenz wieder auf einem Abstiegsplatz einrichtet.

Streich hat viel geredet am Sonntag, er hat geklagt, gehadert und gestöhnt, und am Ende hat er traurig ins Mikrofon geseufzt. "Es ist", seufz, "viel, es ist", großer Seufzer, "wahnsinnig viel". Am Montag meldete der Verein, dass auch Kapitän Julian Schuster bis Weihnachten auf der langen Verletztenliste steht. Die bezeichnende Diagnose: Stressreaktion im Mittelfuß.

Zwiespalt macht sich breit

Streich lobte, "mit welcher Disziplin und Haltung die Jungs hinnehmen, was sie mental wegstecken müssen", aber ihm selbst fällt es schwer, bei Vernunft zu bleiben. Den hitzigen Spielverlauf mit strittigen Schiedsrichtermomenten interpretierte er als Resultat einer Verschwörung. "Unzählige Entscheidungen, die für die Großen ausfallen", meinte er zum wiederholten Male erlebt zu haben, "warum werden wir 90 Minuten lang nicht fair behandelt? Weil wir klein sind?"

Dass nun im Breisgau der Abstiegskampf begonnen habe, mochte der Trainer nicht bestätigen. Der Abstiegskampf hat für ihn am ersten Spieltag begonnen: "Ich habe doch von Anfang an gewusst, was kommt. Mit dem Stress, mit den Niederschlägen, die es geben wird."

Beim Sportclub ist aus leidvoller Erfahrung bekannt, dass der Europapokal ein gefährliches Nebengeschäft ist. 2001 bejubelte Freiburg den Einzug in den Uefa-Cup, ein Jahr später ging es in die zweite Liga. Dem 1. FC Nürnberg widerfuhr nach der Europatournee samt Pokalsieg 2007 dasselbe Unglück, auch Hertha BSC schloss die Europacupsaison 2010 als Absteiger ab. Stuttgart blieb in der vorigen Saison solches Unheil zwar erspart, aber der Klub machte sich einen Namen als Hochburg der schlechten Laune.

Das Publikum boykottierte die Auftritte in der Europa League, diese trugen weder Freude noch Geld ein, und Trainer Bruno Labbadia klagte ständig über den viel zu kleinen Kader. Für diese Saison hatten sich die Stuttgarter personell besser ausgerüstet - schieden aber im Europa-League-Playoff aus.

Auch Frankfurt schien sich gut auf die erhöhten Anforderungen vorbereitet zu haben. Der Klub konnte seine besten Leute halten und das Team verheißungsvoll verstärken - auch durch Spieler, die Streich in Freiburg nun schmerzlich vermisst (Flum, Rosenthal). Bisher haben die Frankfurter und ihre vielen Fans an den Ausflügen in die große Welt des Fußballs ja auch viel Freude gehabt.

Aber jetzt macht sich Zwiespalt breit, ob man sich das Vergnügen leisten kann. Vorstandschef Heribert Bruchhagen stellte am Sonntag fest: "Wir befinden uns in einer ganz schwierigen und prekären Situation. Sprich: im Abstiegskampf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: