Krise in Hamburg:HSV ist schlechter als Tasmania Berlin

Krise in Hamburg: Das waren noch Zeiten: Mit dem kopfballstarken Uwe Seeler als Torjäger gehörte der Hamburger SV einst zur Bundesliga-Spitze.

Das waren noch Zeiten: Mit dem kopfballstarken Uwe Seeler als Torjäger gehörte der Hamburger SV einst zur Bundesliga-Spitze.

(Foto: Ferdi Hartung/Imago)

Pünktlich zu Uwe Seelers 80. Geburtstag steckt Hamburgs Fußball in einer schweren Krise. Vor allem HSV-Vorstandschef Beiersdorfer steht in der Kritik.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Eine richtige Feier zu seinem 80. Geburtstag hat sich Uwe Seeler verbeten. Das Idol des Hamburger SV wird am 5. November lieber im Volksparkstadion sein, auch wenn es möglicherweise wehtut. Dann spielt sein Klub gegen Borussia Dortmund. Früher war das ein Spitzenspiel, 1963 zum Beispiel hat Seeler alle drei Tore gegen die Westfalen zum 3:0 im DFB-Pokalfinale geschossen. Vermutlich können nostalgische HSV-Freunde sie in der Seeler-Sonderausstellung, die an seinem Ehrentag im Vereinsmuseum eröffnet wird, noch einmal bewundern. Dortmund ist nach ein paar Tälern noch immer ein Spitzenklub. Beim HSV hingegen stellt sich Seeler darauf ein, zur Not "auch die Spiele in der zweiten Liga zu besuchen".

Nicht einmal Tasmania Berlin, die schlechteste Bundesliga-Mannschaft der Historie, hatte nach neun Spieltagen so wenige Punkte wie der sechsmalige deutsche Meister aus der Hansestadt. Zwei Zähler hat er bisher erkämpft. Die Zahl der Platzverweise (drei) ist höher als die Zahl der Tore (zwei). Seit 662 Minuten gab es in der Liga überhaupt keinen HSV-Treffer mehr.

Doch damit nicht genug der Hamburger Tristesse: Auch der FC St. Pauli belegt eine Klasse tiefer den letzten Tabellenplatz. Daran änderte auch das 1:1 am Montagabend gegen den 1. FC Nürnberg vor 29 546 Zuschauern im ausverkauften Millerntor-Stadion nichts - es war der erste Punkt nach vier Niederlagen. Doch während die meisten Fans nahe der Reeperbahn weiter den Familiensinn bekräftigen und etwa Plakate hochhalten, die dem schwer gebeutelten Trainer Ewald Lienen die Treue schwören ("Ewald, du bist St. Pauli"), schütten viele HSV-Anhänger nur noch Spott über ihren Verein. Im HSV-Forum hat einer geschrieben: "Ich glaub, KMK kann sein Geld lieber in den Gully schmeißen." KMK ist Klaus-Michael Kühne, der Investor, der die 2014 gegründete HSV Fußball-AG mit seinem Geld bisher am Leben erhält.

Als Favorit für den Job des Sportdirektors gilt der frühere Kapitän Nico-Jan Hoogma

Längst hat man den Eindruck, dass dieser Mann - eine Mischung aus extremem Fan und Geschäftsmann - mit seinem persönlichen Berater Volker Struth (im Hauptberuf Spielerberater etwa der Weltmeister Toni Kroos und Benedikt Höwedes) deutlich mehr bestimmt als gewöhnlich ein Anteilseigner mit elf Prozent. Sein Intimus Karl Gernandt überwacht als Aufsichtsratschef die Geschäfte und tat vor einigen Tagen kund, er werde "nicht tatenlos zusehen" bei der Abstiegsspirale, es gehe "sportlich und in der Führung nicht mehr so weiter".

Am kommenden Sonntag soll im Gremium über einen neuen Sportdirektor beraten werden. Als Favorit gilt angeblich der frühere HSV-Kapitän Nico-Jan Hoogma, der seit einigen Jahren erfolgreicher Manager beim kleinen niederländischen Erstligisten Heracles Almelo ist. Bisher hat diesen Job - nach der Entlassung von Peter Knäbel im Mai - HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer ausgeübt. Doch in seiner Doppelfunktion war er überfordert - und vor allem nicht in der Lage, eine "rote Linie" zu ziehen zwischen Geldgeber und Vereinsführung. So hat es gerade Bernd Hoffmann bei Sky ausgedrückt. Der frühere HSV-Boss (2003 bis 2011) hatte mit Kühne seinerzeit die ersten Geschäfte gemacht. Es ist ja bezeichnend, dass unmittelbar nach der von Kühne gewollten Kündigung Knäbels der Logistik-Unternehmer weitere Millionen für Transfers zur Verfügung stellte.

Widersprüchliche Transfers und Einzelkämpfer-Mentalität

Beiersdorfers sportliche 27-Monate- Bilanz ist ebenso schlecht wie die seiner Vorgänger. Die lösten einst Hohngelächter aus, weil ihre Versuche, ein sportliches Aushängeschild wie etwa Matthias Sammer zu verpflichten, kläglich scheiterten. Beiersdorfer, der 2009 nach einem Konflikt mit Hoffmann als Sportchef zurückgetreten und 2014 zum HSV zurückgekehrt war, gab vielen Mitgliedern Hoffnung auf bessere Zeiten. Aber er hat in diesem Sommer ein Team zusammengestellt, in dem schnelle Innenverteidiger ebenso fehlen wie ein "Sechser", der das Spiel von hinten aufbaut. Stattdessen wurde das Talent Alen Halilovic, 20, vom FC Barcelona geholt, um zu zeigen, wohin man wieder will - nach oben. Das Vorhaben ist grandios missglückt.

Beiersdorfer ist bei seinem Wunschtrainer Thomas Tuchel 2015 ähnlich peinlich gescheitert wie das vorherige Präsidium mit Sammer. Tuchel sagte ebenfalls kurz vor der Einigung ab. Zudem war Beiersdorfers Trainerpolitik so widersprüchlich wie die seiner Vorgänger. Zu unterschiedliche Konzepte hatten die Fußballlehrer Mirko Slomka, Joe Zinnbauer und Bruno Labbadia, die er binnen zwei Jahren feuerte. Der neue Coach Markus Gisdol steht nun für den Plan, sich mit schnellem Offensiv-Fußball wieder Respekt zu verschaffen. Doch das ist noch Theorie. Trotz Investitionen von 32 Millionen Euro im Sommer fehlen dafür passende Spieler.

Auch bei St. Pauli tut sich etwas: Sportchef Thomas Meggle ist bereits beurlaubt worden

Was beim HSV besonders auffällt, ist die seit Jahren rätselhafte Mentalität. Die bleibt trotz aller neuen Ansätze und anderer Spieler wie das Vereinslogo. Es gibt Mitarbeiter, die dafür durchaus eine Erklärung haben. Zum Beispiel würden die meisten neuen Angestellten, etwa in der Nachwuchsarbeit, "nur auf sich gucken", anstatt gemeinsam mit den Alteingesessenen etwas aufzubauen. So ein Klima, in dem viele einzelne Kreise quasi unverbunden sind, erreicht letztlich auch die Profis. Die treten ebenfalls selten als Mannschaft auf. Beiersdorfer hat sein Ziel, wieder einen Klub zu schaffen, in dem alle an einem Strang ziehen, bisher verfehlt. Und weil seine Kommunikation eher zurückhaltend ist, könnte er nach den entlassenen Sportchefs Oliver Kreuzer und Knäbel das nächste Opfer der Kühne-Politik sein.

Beim FC St. Pauli geht es ohne Investor deutlich ruhiger zu als beim großen Nachbarn. Konsequenzen gab es am Dienstag aber auch. Zwar darf der populäre Trainer Lienen bleiben, aber Sportchef Thomas Meggle wurde bereits am Nachmittag vor dem Nürnberg-Spiel beurlaubt. Präsident Oke Göttlich begründete das Aus mit "Differenzen in der strategischen Ausrichtung" und rief ihm Pauli-typisch hinterher: "Thomas ist am Millerntor weiterhin immer willkommen." Dem so freundlich entlassenen Meggle werden die unglücklichen Transfers im Sommer zur Last gelegt.

Uwe Seeler, der Held großer HSV-Zeiten, hat übrigens abseits des Fußballs doch noch eine kleine Feier. Der Ehrenbürger Hamburgs wird am 28. November zum Senatsfrühstück eingeladen. Das ist zum Glück ein Montag. Da kann der HSV nicht verlieren.

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