Krise im Radsport:Anleitung zu einer Farce

Mit seinem umfassenden Geständnis stellt Radprofi Jörg Jaksche die Tour de France endgültig in Frage. Wer soll dort eigentlich noch starten?

Andreas Burkert

Das Wochenende widmete der Radsport den nationalen Meisterschaften, so ist es Tradition kurz vor der Tour de France. Die Meisterschaften haben wirklich stattgefunden, nirgends kam es offenbar zum Eklat wie voriges Jahr in Spanien, als dort die Profis nach drei Kilometern abstiegen. Ein Boykott war das damals. Wegen der Berichterstattung über den damals noch neuen Dopingskandal um den Arzt Fuentes.

Krise im Radsport: Wer noch? Jörg Jaksches Geständnis bringt die Tour de France in Bedrängnis.

Wer noch? Jörg Jaksches Geständnis bringt die Tour de France in Bedrängnis.

(Foto: Foto: AFP)

Gegen Jörg Jaksches Bericht über die schmutzigen Machenschaften des Señor Fuentes und generell des Radsports hat am Wochenende aber niemand zu protestieren gewagt, wenn man von einigen Dementis absieht. Doch bis zum Beweis des Gegenteils sind diese Dementis wohl eher als der übliche Reflex von Beschuldigten zu werten. Auch Jaksche litt lange an dieser Krankheit des ewigen Leugnens. Er hat sich jetzt selbst therapiert.

Es ist ein eindrucksvolles Protokoll entstanden, das Jaksche, 30, dem Spiegel (Nr. 27/2007) lieferte. Denn der Franke gibt nicht nur zu, seit 1997 gedopt und 2005 und 2006 Kunde des Madrider Blutmischers Fuentes gewesen zu sein (,,Ich bin Bella''); zumindest Letzteres schien bereits nachgewiesen zu sein durch die Guardia Civil, die Fuentes und Jaksches damaligen Liberty-Chef Manolo Saiz am 24. Mai 2006 festnahm und das Netzwerk enttarnte. Das Sittengemälde des Metiers indes, das Jörg Jaksche entwirft, ist eine Rarität: anschaulich, detailreich. Und seine Geschichte endet nicht irgendwo im vergangenen Jahrtausend. Wie bei den Dopingbeichten zuvor.

"Deals" mit dem Weltverband

Weil Jaksche außerdem Hintermänner benennt und andere trotz Winkelzügen unschwer zu dechiffrieren sind, weil er Fuentes' unzureichend erforschtes System inklusive der deutschen Dependence in Bad Sachsa erklärt (,,logistische Meisterleistung'') und auch das Selbstverständnis einer unverbesserlichen Branche (,,Es ist pervers, aber das Doping-System ist gerecht, weil alle dopen'') - deshalb darf sein Geständnis als spektakulär und wertvoll gelten, wie dies zuvor nur jenes des einstigen spanischen Kelme-Profis Jesús Manzano war (2004).

Der Radsport dürfte jedenfalls die Offenbarung aus Deutschland als das verstanden haben, was sie ist: die ultimative Bedrohung für seinen Fortbestand, auch für den anstehenden Jahreshöhepunkt, die Tour (7.-29.7.). Denn Jaksche vermittelt ja nicht nur den Eindruck, als habe sich wenig geändert an der Mentalität des flächendeckenden Betrugs; er spricht sogar von angeblichen ,,Deals'' einiger Teams mit dem Weltverband UCI ,,wegen der Trainingskontrollen'' und folgert: ,,Nichts hat sich geändert.'' 1998, während des Festina-Skandals bei der Tour, hatte er es selbst so gehalten: Trotz der Razzien ließ er sich bei Once weiter mit Epo manipulieren: ,,Ich kam abends in den Bus und habe mich gespritzt.''

Anleitung zu einer Farce

Da überdies Protagonisten des Betriebs nicht nur in der Epo-Epoche der neunziger Jahre Doping systematisch organisiert und praktiziert haben sollen, stellt sich die Frage: Wer soll, wer darf eigentlich am Samstag noch in die Tour starten? Team Milram etwa, dessen Topsprinter Petacchi beim Giro positiv war - und dessen Boss Gianluigi Stanga von Jaksche ('97 bei Polti) als Türöffner ins ,,Fixertum'' beschrieben wird?

Krise im Radsport: Was ist mit Jan Ullrich? Hier im Bild mit dem geständigen Jörg Jaksche im Jahr 2006.

Was ist mit Jan Ullrich? Hier im Bild mit dem geständigen Jörg Jaksche im Jahr 2006.

(Foto: Foto: AP)

Kessler, Mazzoleni, Winokurow, Riis

Was ist mit Astana, dessen Nürnberger Fahrer Kessler positiv auf Testosteron gewesen ist, das den Italiener Mazzoleni wegen Dopingverdachts nun ebenfalls suspendierte - und dessen Technikmanager Walter Godefroot erneut als Mitwisser des einstigen Dopingsystems bei Telekom dargestellt wird? Astana-Kapitän Alexander Winokurow, ein Tour-Favorit, wird zudem von Jaksche - wenn auch indirekt - beschuldigt, 2006 von Fuentes gedopt worden zu sein. Und CSC? Müssen sie nicht daheim bleiben, weil Teammanager Bjarne Riis wohl nicht nur den Profi Jaksche 2004 mit Epo und Kortison gedopt haben soll (womit auch der damalige Kollege Jens Voigt belastet wäre)?

Bisher hatte Riis nur sein eigenes Vergehen als (Telekom-)Profi zugegeben.

Die Beschuldigten dementieren also, Stanga, Godefroot, Winokurow und dessen angeblich involvierter Manager Tony Rominger. Andere zweifeln nicht an Jaksches Worten und befürchten den finalen K.o. Für ihren Sport. Für das Heiligtum Tour.

Denn gerade die Tour droht ja nun endgültig zur Farce zu geraten, zu einem Wettbewerb, den niemand mehr ernst nimmt. ,,Da sind schon noch einige, denen man glauben kann'', sagt zwar Christian Frommert vom T-Mobile-Team und ergänzt sarkastisch: ,,Wir können ja eine deutsche Meisterschaft fahren.'' T-Mobile und auch Gerolsteiner sind gut weggekommen bei Jaksche, weil der von einem Telefonat mit Stanga berichtet, in welchem der Italiener geraten habe, dicht zu halten: Alles sei doch bald vorbei - und nur die deutschen Teams verhinderten noch, dass die Fuentes-Affäre beigelegt werde.

Frommert sagt dann aber noch, nicht mal T-Mobile könne sich natürlich trotz aller Bemühungen sicher sein, ,,dass nicht mal wieder einer durchknallt''. Wie auch immer: Er erwarte nun ,,unbedingt Konsequenzen und eine harte Linie''. Von den Teams. Von der Tour.

Rennställe treffen sich

Auch Hans-Michael Holczer wünscht sich das. Doch er verweist auch darauf, die UCI müsse ,,erst den juristischen Wert'' von Jaksches Aussagen definieren. Donnerstag treffen sich die Rennställe in London, dann wird über mögliche Ausschlüsse diskutiert. Nicht nur Astana müsste eigentlich das Aus fürchten, das laut Ethikcode nach drei Dopingfällen zu erfolgen hat; auch Discovery, Saunier Duval, Lampre und Caisse d'Epargne sind (nicht) allein wegen der Verträge für mutmaßliche Fuentes-Kunden bedroht.

Aber wie hat es Jaksche formuliert: ,,Nichts hat sich geändert.'' Sein Interview verfestigt dieses Bild, das sich dem Betrachter seit einigen Jahren aufdrängt. Und der Schwabe Holczer ist eigentlich ein optimistischer Mensch, doch so kurz vor dem Start sagt er nun, er reise ,,völlig illusionslos'' zur Tour. Im Grunde, meint Holczer, müsse der Radsport ,,den Laden ein Vierteljahr schließen'', wenn vielleicht auch nicht zur Tour.

Das mit dem Schließen hatte Holczer allerdings schon einmal angeregt. Vor einem Vierteljahr.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: