Krise des BVB:Dortmund braucht ein neues Ziel

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Erst mal wieder das Einmaleins des Fußballs lernen? Erik Durm bei einer Abwehr gegen Frankfurt. (Foto: AP)

Wie beendet man einen Negativ-Lauf? Unter vielen Aspekten trägt die angeschlagene Psyche zum Absturz von Borussia Dortmund bei. Experten raten, sich von alten Ansprüchen loszusagen. Klopp kündigt eine Reaktion an.

Von Thomas Hummel

Hans-Joachim Watzke ist (noch) nicht so weit, dass er auf den Platz rennt und die 32. Torchance seiner Borussia selbst übernimmt. Auch wenn die Erfolgsquote des 55-jährigen Diplom-Kaufmanns derzeit kaum niedriger läge als die seiner Spieler. Noch versucht er, mit der Autorität des leitenden Geschäftsführers verbal die Krise seines Fußballklubs zu beenden. In dieser Disziplin gibt Watzke jetzt alles.

Vor den Aktionären des Ballspielverein Borussia 09 forderte er martialisch "Blut, Schweiß und Tränen." Nach dem 0:2 bei Eintracht Frankfurt und dem Absturz ans Ende der Bundesliga-Tabelle erklärte er: "Ich bin zuversichtlich, dass jetzt jeder verstanden hat, was Tango ist."

Die Krise im Dortmunder Fußballtheater ist inzwischen so vielschichtig, dass man als Beobachter leicht den Überblick verlieren kann. Haben sich die Gegner auf die Überfall-Gegenpressing-Pressing-Taktik eingestellt? Hat sich Jürgen Klopp als Trainer verbraucht? Reicht die Kondition der Spieler nicht mehr für den aufwändigen Stil? Sind die Zugänge zu schlecht? Oder die Verletzten zu zahlreich? Fehlt einfach das Glück? Für sich genommen kann nichts davon die Wandlung eines Champions-League-Finalisten 2013 in einen Dezember-Letzten 2014 erklären. Am Ende könnte es die Summe vieler Einzelteile sein.

Nun ist allerdings auffällig, dass die Verantwortlichen zunehmend die Psyche ins Spiel bringen. Sie drängen darauf, dass Spieler wie Trainer sich auf die Realität einstellen: Sich nicht weiterhin als Konkurrent der Bayern fühlen, sondern erst mal Hoffenheim und Berlin schlagen.

Das Wort Abstiegskampf betrachten viele Beteiligte in Dortmund wie Zoo-Besucher eine Giftschlange: Soll in Wirklichkeit ziemlich gefährlich sein - aber egal, mit der haben wir nichts zu tun. Nun kommt der als Sportdirektor getarnte Wärter Michael Zorc und erklärt: "Die Mannschaft hat sich die Situation selbst eingebrockt. Es bleibt ihnen jetzt gar nichts anders übrig, als die Situation anzunehmen." Also rein ins Glashaus und die Schlange bändigen!

"Es sollte eine Zielanpassung erfolgen", rät Henning Plessner, Professor für Sportwissenschaft mit Schwerpunkt Sportpsychologie an der Universität Heidelberg: "Von außen sieht es ein bisschen so aus, als hätte man sich in Dortmund etwas zu lange an das Saisonziel Champions-League-Platz geklammert." Da sich dieses Ziel von Niederlage zu Niederlage immer weiter entfernt, könne es sein, dass man sich in der Mannschaft nicht mehr auf ein gemeinsames Ziel einigen könne. Der eine möchte gerne international glänzen, der andere mit Kraft und Anstrengung in Paderborn gewinnen. Fehle diese in der Sportwissenschaft sogenannte "aufgabenbezogene Kohäsion", beeinflusse das nachgewiesenermaßen die Leistung einer Mannschaft, sagt Plessner.

Zudem leidet inzwischen selbst nach kleinen Misserfolgen das Zutrauen in die eigene Schaffenskraft, das Schicksal selbst wenden zu können. Oder wie die Sportwissenschaft sagt: die "Selbstwirksamkeitsüberzeugung". Zwar rennen und spielen die Dortmunder weiter wie eh und je, allein der Glaube fehlt. Nach Rückstand holte der BVB in dieser Saison bislang nur einen Punkt gegen Stuttgart. In Paderborn führten nach 2:0-Führung ein Gegentor und die Verletzung von Marco Reus zu Leistungsabfall und Punktverlust.

Nach dem unglücklichen 0:2 in Frankfurt, in dem die Mannschaft auf das schnelle Gegentor fahrig antwortete, reagiert Klopp nun. Gegen Hoffenheim sollen die mental Robusten auf den Platz laufen: "Wir versuchen jetzt im Training herauszufinden, wer dieser Situation standhalten kann, und stellen danach auf", kündigte er an.

Elf des Spieltags
:Ginter leiht dem Absturz sein Gesicht

Der BVB-Verteidiger liefert bei der Niederlage gegen Frankfurt die Szene des Spiels. Klaas-Jan Huntelaar besiegt den Stürmer-Frust mit drei Treffern. Und die Berliner lassen sich tatsächlich vom altbekannten Arjen-Robben-Trick übertölpeln. Die Elf des 13. Spieltags.

Der Absturz von einer Saison zur nächsten ist beileibe kein Dortmunder Einzel-Phänomen. Hertha BSC stieg 2010 nach einem vierten Platz in der Vorsaison ab. Nürnberg stieg 2008 als Pokalsieger ab, 1969 sogar als Meister. Bochum stieg 2005 als Europapokal-Teilnehmer ab. All diese Mannschaften waren wohl technisch-taktisch nicht so schlecht, dass sie in die zweite Liga hätten gehen müssen. Der Fußballjargon erklärt das mit einem "Negativ-Lauf". Oder wie Andreas Brehme sagen würde: "Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß!"

Wie man so einen Negativ-Lauf beendet? Außer einer neuen, gemeinsamen Zielsetzung hat auch die Sportpsychologie kurzfristig keine Zaubertränke zu bieten. "Grundsätzlich zielt sportpsychologische Betreuung eher auf mittel- und langfristige Entwicklungen und nicht auf 'Notsituationen'", erklärt Plessner. Doch ob die Dortmunder auf die Notsituation Platz 18 vorbereitet sind? Wie erklärt man hochdekorierten Spielern wie Shinji Kagawa, Henrikh Mkhitaryan und Ciro Immobile oder den Weltmeistern Erik Durm, Kevin Großkreutz und Mats Hummels, dass ihr Maßstab jetzt nicht mehr Bayern München, sondern der Hamburger SV ist?

Bei den historischen Abstiegs-Beispielen gelang die Umstellung nicht. Selbst diverse Trainerwechsel halfen nicht, den Absturz zu bremsen. Die Anhänger des BVB können entsprechend nur hoffen, dass Spieler und Trainer der Aufforderung ihres Chefs Watzke folgeleisten: Der Ausdruck "verstanden, was Tango ist" heißt im Ruhrgebiet so viel wie "verstanden, was Sache ist". Außerdem geht das Sprichwort wohl auf den Ausdruck "Tango Scramble" zurück, in der Fliegerei ein Synonym für Alarmstart. Wenn ein Flugzeug so schnell wie möglich nach oben soll.

Übrigens stürzte auch mal der FC Bayern beträchtlich in der Tabelle ab: Nach der Meisterschaft und dem Gewinn der Weltmeisterschaft durch viele Bayern-Spieler 1974 wurde der Klub im Jahr 1975 nur Zehnter. Allerdings gewann er den Europapokal der Landesmeister. Auf dieses Ziel könnten sich die Dortmunder Spieler wohl schnell einigen.

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