Krise beim TSV 1860 München:Rasant ins Chaos geschlittert

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Die Löwen am Boden, der Gegner obenauf: Der TSV 1860 stürzt wieder einmal in die Krise. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Komplizierte Spieler, Dreierketten mit vier Verteidigern, wenige Stürmer, viele Kapitäne: Der Saisonstart der Löwen ist gänzlich danebengegangen - und es stellt sich die Frage, woran es liegt? Fünf Gründe für das erneute Durcheinander beim TSV 1860.

Von Markus Schäflein

Für die Krise des Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München gibt es auf den ersten Blick nur einen Grund: das überbordende Chaos, das die Löwen mal wieder erfasst, und zwar in einer selbst an der Grünwalder Straße bislang unbekannten Rasanz und Intensität. Ein Versuch, vor dem DFB-Pokalspiel beim Drittligisten Kiel (Sonntag, 14.30 Uhr) das Chaos in seine Komponenten zu zerlegen.

Die Stimmung

Gleich fünf Spieler sind aus dem Profikader gestrichen worden - während in Julian Weigl, Daniel Adlung, Yannick Stark und Vitus Eicher vier Akteure von einem Taxifahrer auf nächtlicher Partytour gesichtet wurden, unter der Woche vor einem trainingsfreien Tag, wurde Stammtorhüter Gabor Kiraly für den Zopf-Skandal bestraft: Er hatte Verteidiger Gary Kagelmacher bei einem Disput während der Partie gegen Leipzig (0:3) an den Haaren gezogen.

Am Mittwoch, nach seiner Trainingseinheit mit der U21, erklärte Kiraly: "Ich mache ganz selten oder nie so etwas. Dafür muss es schon Gründe geben." Er kenne "die Wahrheit und das, was der Trainer zu mir gesagt hat", meinte der 38-Jährige: "Ich beschäftige mich nicht mit der Entscheidung, sondern lebe mit der Situation und will weiter arbeiten. Motivation ist immer da, und Spaß am Fußball habe ich auch immer." Also auch beim Training der U21.

Kein Spaß für 1860 hingegen war das prestigeträchtige Regionalliga-Derby der U21 gegen den FC Bayern II, das vor 12 000 Zuschauern im ausverkauften Stadion an der Grünwalder Straße und live im Fernsehen zu allem Überfluss 1:3 verloren ging. Von den Verbannten spielte nur Ersatztorwart Eicher, er patzte beim ersten Gegentor auf ungewohnte Weise.

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Auch kein Spaß: Den Profis stehen nun nur noch 17 Feldspieler zur Verfügung, schon inklusive dem lange verletzten Moritz Volz und dem aus der U21 aufgerückten Stephané Mvibudulu, über den Trainer Ricardo Moniz sagt: "Ich kann seinen Namen nicht aussprechen, aber er wird mittrainieren." Zur Pokalpartie in Kiel meinte er: "Das wird ein sehr schweres Spiel aufgrund der Situation, ein Scheiß-Spiel. Wir müssen unbedingt ruhig bleiben." Nachdem Moniz mehrfach gesagt hatte, seine Mannschaft sei tot, kündigte er nun an: "Das ist ein lebensgefährlicher Gegner."

Die Fitness

Die Meinungen über den körperlichen Zustand der Mannschaft gehen weit auseinander. Dass die Löwen in der zweiten Hälfte beim 2:3 in Kaiserslautern sowie über die ganze Spielzeit gegen Leipzig einen zahmen Eindruck hinterließen, ist unstrittig; die Frage ist, ob dies an der Fitness liegt.

Für Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner ist das Team "körperlich in einem Loch", was recht seltsam ist zum Saisonstart: Es habe "einen unglaublich unfitten und müden Eindruck" gemacht, die Laufleistung sei "unterirdisch gewesen". Ob Moniz, Liebhaber von 600 Sit-Ups am Stück, die Mannschaft kaputttrainiert hat, wird sich in Kiel zeigen, wenn sie spielerisch dominieren müsste. Der Trainer sagte am Mittwoch: "Ich denke, es ist eine der fittesten Mannschaften von Deutschland."

Die Taktik

Schon nach dem Spiel in Kaiserslautern sorgte die Taktik für Verwirrung: Während Ilie Sanchez, je nach Sichtweise Sechser oder Innenverteidiger, sagte, 1860 habe mit einer Dreierkette gespielt, beteuerte Moniz, man habe mit einer Viererkette gespielt. Idealerweise sollte das Team wohl je nach Spielsituation agieren; die Entscheidung darüber oblag Ilie, der sich allzu oft dafür entschied, ein Innenverteidiger zu sein.

Gegen Leipzig begann 1860 dann in der aus der Vorbereitung gewohnten Formation mit echter Viererkette, aber leider spielte nur der Gegner den Fußball, der eigentlich Moniz vorschwebt: Pressing, Pressing, Pressing. Zur Pause verwarf der Trainer die Taktik erneut, wechselte beide Außenverteidiger aus. Für mehr Druck reichte es allerdings auch wieder nur ein paar Minuten.

Man darf gespannt sein, ob der von Moniz gewünschte Powerfußball nun am Sonntag zumindest gegen einen Drittligisten gelingt.

Der Stürmermangel

Man dachte, nach der Verabschiedung von Benjamin Lauth sei der Sturm der wichtigste Bereich auf der Suche nach Zugängen. Doch neben Rubin Okotie, dem auf den linken Flügel versetzten Bobby Wood und dem verletzten Stephan Hain stehen Moniz derzeit keine Mittelstürmer zur Verfügung. Bei verschiedenen Gelegenheiten hat Moniz immer wieder auf die Notlage hingewiesen, er drohte gar schon: "Dann spielt eben der junge Wolf" - der 19-jährige Marius Wolf aus der U21.

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Für die vom Trainer gewünschten Angreifer hatten die Löwen offenbar nicht das nötige Geld. Bei verschiedenen Gelegenheiten versprach Poschner noch Verstärkung; der Sport-Geschäftsführer ist aber offenbar gewillt oder gezwungen, den Transferzeitraum (bis 31. August) auszureizen.

Die Kapitänsb inde

Julian Weigl, 18, geht jetzt nicht nur als der jüngste Kapitän in die lange Historie des TSV 1860 ein. Sondern auch als der am kürzesten amtierende. Nach nur einer Woche, wegen Beteiligung an der so genannten Taxi-Affäre, bekam er die Armbinde wieder entzogen. Beziehungsweise, so sieht es Poschner: "Er hat sich selbst von der Binde befreit." Selbst wenn Weigl wieder in den Profikader zurückkehren darf, "der Zeitraum bleibt offen" (Moniz), das Amt als Spielführer wird er nicht mehr übertragen bekommen.

Sein bisheriger Stellvertreter Christopher Schindler wird nun dauerhaft Kapitän, er bekommt einen neuen Vize, den Moniz bislang noch nicht bestimmt hat. Ein außergewöhnliches Experiment ist damit spektakulär gescheitert. Immerhin: Schindler, 24, in den Jugendmannschaften des TSV oft Kapitän, teilte mit: "Es ist natürlich eine Ehre für mich und ich werde einfach das Beste geben, das Amt gut auszufüllen. Wir müssen als Mannschaft enger zusammenrücken." Das hört sich doch schon mal kapitänsmäßig an.

© SZ vom 14.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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