Entlassung von Roberto Di Matteo:Schalker Schaden auf allen Ebenen

FC Schalke 04 - Kevin-Prince Boateng

Zwei ohne Zukunft beim FC Schalke: Trainer Di Matteo und Kevin-Prince Boateng.

(Foto: dpa)
  • Trainer Roberto Di Matteo muss den Fußball-Bundesligisten Schalke 04 nach nur sieben Monaten verlassen. Zum Verhängnis wird ihm auch seine emotionsfreie Art.
  • Gegen Mainz, Köln, Paderborn und zuletzt Hamburg hatte sein Team enttäuscht und die Fans gegen sich aufgebracht. Der Schaden für Schalke besteht vor allem im Verlust von Stolz und Ansehen.
  • Manager Horst Heldt hat nun das Glück, dass ihm auf der Suche nach Di Matteos Nachfolger ein wenig Zeit bleibt.

Von Philipp Selldorf

Die Verabredung zum Zwiegespräch am Pfingstsonntag hatten Horst Heldt und Roberto Di Matteo schon Anfang der vorigen Woche getroffen. Es sollte um die Erkenntnisse aus der abgelaufenen Saison gehen und um die Schluss- folgerungen, die daraus für das nächste Spieljahr zu ziehen sind. Schalkes Sportchef rechnete mit einer Sitzung, die durchaus viel Zeit in Anspruch nehmen würde. "Die Liste der Dinge, die wir verändern müssen, ist lang", hatte Heldt gesagt. Was jedoch keineswegs zur Debatte gestellt werden sollte, das war der Posten des Trainers. Heldt, 45, war entschlossen, die Zusammenarbeit mit Di Matteo, 44, fortzusetzen.

Seine Entschlusskraft muss im Lauf des Samstagnachmittags aber zunehmend nachgelassen haben. Die Schalker Spieler ließen bei der 0:2-Niederlage in Hamburg auch die letzte Gelegenheit aus, den folgenschweren Enttäuschungen der vergangenen Wochen etwas Versöhnliches entgegenzusetzen. In den Tagen zuvor hatte Heldt die Profis der Reihe nach in sein Büro gerufen, um ihnen zu verdeutlichen, wie wichtig die Partie für die Reputation des Klubs ist.

Aber die Mannschaft brachte in Hamburg genauso wenig Temperament und Energie auf wie bei den verhängnisvollen Auftritten in Mainz (0:2), Köln (0:2) und gegen Paderborn (1:0). Wieder also mussten sich die Akteure nach dem Spiel von den eigenen Fans beschimpfen und beleidigen lassen, und diesmal schimpfte außer den seit Wochen im Aufstand befindlichen Schalker Anhängern auch der Rest des Landes mit.

Dass der HSV dank des Sieges gegen Schalke nun doch noch die Chance erhält, in der Relegation der Strafe für seine sportliche Misswirtschaft zu entgehen, das ist jetzt nach weit verbreiteter Volksmeinung das Werk einer Schalker Mannschaft, die sich mit lust- und ehrlosem Dienst-nach-Vorschrift-Fußball in die Niederlage fügte. Wahrscheinlich ist es so bereits für immer und ewig in den Geschichtsbüchern der Bundesliga verzeichnet.

Der Schaden für Schalke bestand daher zunächst weniger darin, dass auf den letzten Metern Platz fünf verloren ging (was zu kostspieligen Komplikationen in der kommenden Europa-League-Saison führen kann), sondern eher, dass Stolz und Ansehen ramponiert wurden. Was die Wut in der eigenen Gemeinde noch um ein erhebliches Maß steigerte. Als Heldt und Di Matteo sich am Sonntag in Gelsenkirchen trafen, gab es deswegen eine andere als die ursprünglich vorgesehene Tagesordnung.

Am späten Nachmittag meldete Sport-Bild, Verein und Trainer hätten die Trennung ausgemacht. "Einvernehmlich", wie berichtet wurde - und unvermeidlicherweise, wie sich nach Lage der Umstände sagen lässt. Am Dienstagmorgen folgte dann auch die offizielle Bestätigung auf der Vereins-Homepage. Der kicker berichtete zudem, dass Di Matteo auf einen guten Teil des ihm zustehenden Gehaltes verzichte. Er hatte im vorigen Oktober mit dem Klub einen Vertrag bis 2017 geschlossen.

13 in 13 Jahren

Die Cheftrainer des FC Schalke 04 seit 2002:

Frank Neubarth: 7/2002 - 3/2003

Marc Wilmots: 3/2003 - 6/2003

Jupp Heynckes: 7/2003 - 9/2004

Ralf Rangnick: 9/2004 - 12/2005

Mirko Slomka: 1/2006 - 4/2008

Mike Büskens: 4/2008 - 7/2008

Fred Rutten: 7/2008 - 3/2009

Mike Büskens: 3/2009 - 7/2009

Felix Magath: 7/2009 - 3/2011

Ralf Rangnick: 3/2011 - 9/2011

Huub Stevens: 9/2011 - 12/2012

Jens Keller: 12/2012 - 10/2014

Roberto Di Matteo: 10/2014 - 5/2015

Sicherlich ist Di Matteo ein Mann von vornehmer Gesinnung und von angenehmer Art, aber dass er der brillante, charismatische Fußball-Lehrer ist, als den ihn die Verantwortlichen bei seiner Ankunft im Ruhrgebiet beschrieben hatten, das hat er nicht nachweisen können. Außer der Referenz, als Aushilfstrainer 2012 mit dem FC Chelsea die Champions League gewonnen zu haben, brachte der Italo-Schweizer auch eine Empfehlung des Bundestrainers mit. Aufsichtsratschef Clemens Tönnies hatte bei Joachim Löw Erkundigungen einzogen, und Löw, der einst als schnauzbärtiger Profi mit Di Matteo beim FC Winterthur gespielt hatte und seitdem mit ihm in Verbindung geblieben war, beglückwünschte die Schalker zu ihrer Wahl.

Kaum sportliche Entwicklung

Doch der 44-Jährige erwies sich als der falsche Mann am falschen Ort. In der ersten Halbzeit seines siebenmonatigen Engagements konnte er sich noch gestalterisch profilieren, er brachte der durch Verletzungen stark dezimierten Mannschaft wieder effektives Verteidigen bei und baute im Winter eine neue Spielordnung auf, was zu Beginn der Rückrunde recht gute Ergebnisse brachte.

Ende Februar allerdings endete die als minimalistisch kritisierte, aber tendenziell ertragfähige Entwicklung - das 0:3 bei dem für die Schalker total verkorksten Derby in Dortmund läutete einen Gegentrend ein, der sich in den vergangenen sechs Wochen so radikal wie mysteriös vertiefte - just, als all die Langzeitvermissten wie Farfán, Draxler, Goretzka oder Kolasinac in den Spielbetrieb zurückkehrten.

Zuletzt spielten die Schalker in wechselnden Besetzungen einen so trägen und leidenschaftsfreien Fußball, dass der Verdacht auf Betäubungsmittel-Missbrauch aufkam, und Di Matteo machte sich in den Augen der Anhänger daran schuldig, indem er tatenlos an der Seitenlinie stand. Ein aktives Coaching fand nicht statt. Ein Aufbäumen seiner Leute auch nicht. Seine Äußerungen zu den nunmehr konstant armseligen Auftritten waren ebenso konstant nichtssagend und austauschbar.

Dieser Mangel an erkennbarer emotionaler Anteilnahme ist in Schalke noch unverzeihlicher als anderswo. Der Versuch des Managements, den Spielern durch drastische Maßnahmen Beine zu machen (Rausschmiss des egozentrischen Boateng und des missmutigen Sam sowie die exemplarische Suspendierung von Höger), brachte nichts ein. Eher schadete das Manöver der Autorität des Trainers.

Manager Heldt hat nun das Glück, dass ihm auf der Suche nach Di Matteos Nach- folger ein wenig Zeit bleibt. Er hat aber auch das Pech, dass er bei der Wahl unter strenger Beobachtung steht. Im Klub gibt es Kritiker seiner Arbeit, im zornigen Publikum sowieso. Namhafte Kandidaten drängen sich nicht auf: Ein Trainer, mit dem er früher ausgiebig verhandelt hatte, fängt demnächst beim Nachbarklub an (Thomas Tuchel); ein anderer, der ihm gefällt, hat gerade bis 2019 den Vertrag verlängert (Markus Weinzierl); und befreundete Experten wie Armin Veh (in Urlaub) und Markus Babbel (in Luzern) kommen allein schon deswegen nicht in Frage, weil sie alte Freunde sind.

Marc Wilmots, eine alte Schalke-Legende und aktuell belgischer Nationaltrainer, zeigte sich vor einem Jahr durchaus interessiert an der Rückkehr, nun aber hat er in Belgien eine Mission zu erfüllen: den Gewinn des EM-Titels im nächsten Sommer. Keine leichte Aufgabe also für Heldt. Für seinen eigenen Verbleib in Schalke wäre es aber dringend von Vorteil, wenn er bis zur gewiss bewegten Mitgliederversammlung am 28. Juni eine überzeugende Lösung bieten könnte.

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