Krise bei Borussia Dortmund:Hat der FC Bayern den BVB kaputt gekauft?

Krise bei Borussia Dortmund: Verzweifelte Gesichter: Dortmunds Erik Durm (l.), Pierre-Emerick Aubameyang (m.) und Adrian Ramos nach der Niederlage gegen Eintracht Frankfurt.

Verzweifelte Gesichter: Dortmunds Erik Durm (l.), Pierre-Emerick Aubameyang (m.) und Adrian Ramos nach der Niederlage gegen Eintracht Frankfurt.

(Foto: AP)

Filmreife Gegentore, umstrittene Zugänge und Platz 18 in der Tabelle - was ist los beim BVB? Schmerzt der Abgang von Robert Lewandowski zu sehr oder gibt es zu viele Verletzte? Acht Fragen und Antworten zur Talfahrt von Borussia Dortmund.

Von Freddie Röckenhaus

Borussia Dortmund empfängt am Freitag die TSG Hoffenheim - als Tabellenletzter. Warum steckt der BVB in der Krise? Wer ist schuld? Was kann man tun? Eine Annäherung in acht Fragen und Antworten.

  • Hat Borussia Dortmund im Sommer die falschen Transfers gemacht und ist deshalb so in die Bredouille gekommen?

Schwer zu sagen. Ciro Immobile und Adrian Ramos sind bisher eher Randfiguren, Shinji Kagawa ist so ungefährlich, dass man sich fragen muss, ob aus Manchester dem BVB nicht ein anderer Japaner untergeschoben wurde - und Matthias Ginter ist, wann immer er spielen muss, an den skurrilsten Gegentoren beteiligt. Andererseits: Gäbe es weniger Verletzte, müsste keiner der vier Neuen zwingend spielen. Immobile war immerhin italienischer Torschützenkönig, Ramos traf in der vorigen Saison 16 Mal für Hertha, und am 20 Jahre alten Ginter war auch der FC Bayern interessiert. Nur deshalb entschied sich der BVB, Ginter kein weiteres Jahr in Freiburg zu lassen, sondern ihn sofort zu holen.

Und natürlich wissen sie beim BVB eines auch: Gefeierte Helden wie Lewandowski oder Gündogan haben auch lange Akklimatisierungs-Phasen gebraucht. Lewandowski wurde erst in seinem zweiten Jahr beim BVB Stammspieler, und das nur, weil sich sein Vorgänger Lucas Barrios verletzt hatte. Aber auch Rückkehrer wie Kagawa oder Nuri Sahin tun sich schwer bei der Rück-Akklimatisierung in Dortmund.

  • Wie schwer wirkt der Verlust von Mario Götze und Robert Lewandowski? Hat der FC Bayern den BVB kaputt gekauft?

Psychologisch hat der Verlust von Götze Spuren hinterlassen, spielbestimmend war er beim BVB aber eher selten. Dennoch: Einen so speziellen Spieler, der verfahrene Situationen mit einer einzigen Bewegung auflösen kann, gibt es nicht so oft. Und schon gar nicht einen, der seit seinem neunten Geburtstag in Schwarz-Gelb spielte. Im Normalfall aber wird Götze durch den gebürtigen Dortmunder Marco Reus ersetzt, Reus ist vielleicht sogar der effektivere Fußballer.

Der Abgang von Lewandowski trifft Dortmund schwerer, weil das System von Trainer Jürgen Klopp auf einen Alleinunterhalter mit hoher Ballfertigkeit zugeschnitten war. Lewandowskis Nachfolger Pierre-Emerick Aubameyang ist immerhin einer von nur zwei formstabilen Borussen in dieser Saison (der andere ist Sebastian Kehl). Aubameyangs Speed ist sensationell, er ist technisch stark und auch sehr torgefährlich. Also: Das Fehlen von Lewandowski spielt natürlich eine Rolle - aber keine herausragende.

  • Dürfen die vielen Verletzungen als Ausrede gelten? Klubs wie der FC Bayern oder Schalke haben auch Verletzungssorgen.

Die Verletzungsmisere in Dortmund wird nicht besser dadurch, dass man sie als Begründung nicht mehr hören kann. Auf der zentralen Mittelfeldposition fielen monatelang alle drei Kandidaten aus, Ilkay Gündogan, Nuri Sahin, selbst Ersatzmann Oliver Kirch. Der im Klopp-Konzept stark in den Spielaufbau eingespannte Mats Hummels fiel nach der WM wochenlang mit einem Beckenschiefstand aus. Als er endlich ein paar Spiele absolviert hatte, musste er gleich wieder passen - Sprunggelenksverletzung.

Auch Reus erwischte es nach seiner Vor-WM-Verletzung in der laufenden Saison zweimal. Gegnerische Spieler schonen den filigranen Techniker nicht gerade. Auch Mkhitaryan war wochenlang verletzt, Jakub Blaszczykowski fehlt immer noch, ebenso der Abwehr-Stabilisator Sokratis (Wadenbeinbruch). Spieler wie Sven Bender oder Neven Subotic (nach Kreuzbandriss) robben sich nur mühsam an ihre alte Form heran. Klopps betont aggressive, laufintensive Spielweise, bei der es auf Dynamik und eine sehr hohe Konzentration ankommt, macht es Rekonvaleszenten nicht leicht, sich wieder einzugliedern.

Können die Dortmunder Abstiegskampf?

  • Nehmen die Dortmunder den Abstiegskampf an? Können sie das überhaupt?

Manager Michael Zorc hat nach der jüngsten Niederlage in Frankfurt pflichtschuldig gesagt, man sei nun "mitten im Abstiegskampf". Aber wer soll das glauben? Wäre Dortmund ein Abstiegskandidat, müsste BVB-Boss Watzke die Elf ja am besten aus der Champions League zurückziehen, wo der BVB als Kandidat auf den Gesamtsieg gehandelt wird. Wie soll man so einen Spagat in einem einzigen Klub hinbekommen? Und noch wissen sie beim BVB auch nicht so genau, was das heißen soll: sich auf den Abstiegskampf einstellen. Im Normalmodus spielt Dortmund ja so aggressiv, wie ein echter Abstiegskandidat das selten hinkriegt. Soll der BVB jetzt plötzlich viel rustikaler spielen, sich mit groben Fouls Respekt verschaffen? Das wäre nichts, was der Elf liegt: In den vergangenen vier Jahren hat sie dreimal die Fairness-Wertung der Bundesliga gewonnen.

  • Ist der BVB wirklich besser als der Tabellenplatz? Oder wird die Elf überschätzt?

Für jene Experten, die dem wahren Kern des Spiels und damit den Gründen von Erfolg und Misserfolg auf der Spur sind, gibt es vor allem zwei Aspekte, auf die es ankommt, um eine Mannschaft zu beurteilen: Wie viele ernsthafte Torchancen erarbeitet sich die Mannschaft? Wie viele Chancen des Gegners lässt sie zu? So gesehen müsste sich Dortmund keine Sorgen machen: Selbst jetzt, auf Tabellenplatz 18, gehört der BVB zu den Top-5-Teams mit den meisten hochkarätigen Torchancen. Dasselbe gilt umgekehrt: Der BVB lässt kaum Chancen des Gegners zu. Es müsste also nur eine Frage der Zeit sein, wann sich diese Gesetzmäßigkeit des Spiels durchsetzt: Wer so viele Torchancen erzeugt und so wenige zulässt, der spielt richtig.

Dagegen stehen andere Experten, die Klopp dafür kritisieren, dass er stilistisch keinen "Plan B" besitze. Diese Kritiker sagen: Der BVB, das ist zu viel Aufwand für wenig Ertrag. Die Gegner hätten sich aufs BVB-Spiel eingestellt und es durchschaut.

  • Hat sich die symbiotische Beziehung zwischen Klopp und seinen Spielern nach gut sechs Jahren einfach abgenutzt?

Emotional offenbar nicht. Die Elf besteht immer noch großteils aus Jüngern des Trainers. Viele beschreiben den derzeitigen Prozess erst recht als eine Wagenburg-Situation, in der die meisten Spieler noch enger zum Trainer rücken. Ob Klopp der Elf aber fußballerisch noch die richtigen Lösungen beibringt, ist eine andere Frage.

  • Ist es nicht doch Zeit, mit einem Trainerwechsel für frische Luft zu sorgen?

Gut gebrüllt, nur: Wer könnte Klopp kurzfristig ersetzen? In Deutschland fällt dazu allenfalls ein Name: Thomas Tuchel. Aber der wäre nur eine jüngere Version von Klopp, ohne die internationale Erfahrung, die Klopp hat sammeln können. Mitten in einer Saison wird Dortmund so einen Wechsel nicht wagen. Und die übliche Feuerwehrmann-Maßnahme ist in Dortmund realistisch betrachtet sowieso nicht möglich. Für Retter à la Funkel ist die Elf etliche Nummern zu groß geworden.

  • Gehört die Mannschaft hauptsächlich auf die Couch eines Psychologen?

Da ist es wie bei Radio Eriwan: Im Prinzip, ja. Die Art und Weise, wie Dortmund seine Gegner mit slapstickartigen Abwehr-Stunts zu Toren einlädt, ist filmreif. Das Nervenflattern vor dem letzten Pass und dem letzten Torschuss ist unglaublich. Nur 16 Prozent der Torchancen nutzt der BVB; der FC Bayern rangiert bei 25 Prozent, Primus Schalke 04 nutzt fast 35 Prozent der Chancen.

Und kein Liga-Mittelfeld schießt so wenig Tore wie das des BVB: ein einziges bisher, durch Kagawa. Spieler wie der empfindsame Mkhitaryan kreiseln in der Abwärtsspirale besonders heftig, weil sie die persönliche Wende (und die des Teams) erzwingen wollen und dabei nur noch mehr Misserfolgs-Erlebnisse anhäufen. Mehr als jede Couch dürfte der Zufall helfen: einfach mal Glück haben, ein, zwei Tore mit Dusel machen. Führende Sportpsychologen empfehlen gegen Misserfolgs-Serien dies: Erfolg.

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