Korruption bei der Fifa:Europas letztes Druckmittel gegen Blatter

Die Ermittlungen gegen Fifa-Funktionäre vertiefen sich, jetzt darf sich auch der DFB nicht länger mit Phrasen aus der Verantwortung stehlen. Boykottdrohungen gegen die kommende WM sind nötig, um Sepp Blatter endlich zur Aufgabe zu zwingen.

Kommentar von Thomas Kistner

Als der letzte Bruderkuss gewechselt und das Familienfest vorbei war, drohte der Patriarch jedem Rache an, der ihm die Gefolgschaft verweigert hatte: Er könne verzeihen, aber nicht vergessen. Das ist kein Filmzitat, die Rede ist auch nicht von Don Corleone. Sepp Blatter, Oberhaupt des Fußball-Weltverbands, hat das gesagt. Nach jenem Wahlkongress in Zürich, bei dem er ein fünftes Mal auf den Fifa-Thron expediert wurde. Allerdings waren ihm mehr als ein Drittel der 209 Nationalverbände von der Fahne gegangen. Das war ein Affront - aus seiner Sicht.

Ein Affront war die Wahl auch für die US-Justizministerin. Loretta Lynch hatte ja eine klare Warnung ausgesprochen, als sie nach den FBI-Zugriffen am Tagungsort die Fifa aufforderte, sich vollständig zu erneuern. Dass der Hinweis an die Spitze zielte, auf den Mann, der den Weltverband seit 34 Jahren dirigiert, steht außer Frage. Lynchs Erwartungen wurden enttäuscht. Die Fifa rudert lieber weiter mit dem ewigen Capo durch ihren Geschäftsmorast. Dass an dessen Trockenlegung nun aber schon Behörden in Dutzenden Ländern beteiligt sind, signalisiert, dass auf die Zürcher Sportsfreunde bald noch mehr Ärger zukommen dürfte. In Washington heißt es, die Fifa sei dort auf der Suche nach Anwälten.

WM-Boykottdrohungen wären ein starkes Druckmittel

Der furiose Eröffnungszug des FBI offenbart, wie die Reise durch die Fifa-Unterwelt ablaufen könnte: von Lateinamerika über Afrika und Asien nach Europa. Die FBI-Untersuchungen waren über Jahre in der Abteilung Organisierte Kriminalität in Eurasien angesiedelt; vermutlich sind sie es noch heute. Dass die Verhaftungen von sieben Fifa-Funktionären vergangene Woche in Zürich, darunter enge Blatter-Vertraute, erst der Anfang waren - das erwarten im Fußball-Kosmos jetzt viele.

Wie wichtig die Ermittlungen sind, verrät Blatters Reaktion: Er breitet Verschwörungstheorien aus. Gibt es da nicht weltpolitische Spannungen zwischen den USA und Russland? Mit Wladimir Putin ist er befreundet, der russische Präsident steht ihm auch jetzt treu zur Seite. Ein Vorgang vereint die beiden auch in dieser Krise: Untersucht werden die WM-Vergaben 2018 an Russland und 2022 an Katar. Käme dabei nichts raus, wäre es besser für beide.

Doch die Schlinge zieht sich zu. Und deshalb darf sich auch der Deutsche Fußball-Bund jetzt nicht länger mit Phrasen aus der Affäre stehlen. Am kommenden Wochenende versammeln sich Europas 53 Verbände in Berlin, am Rande des Champions-League-Finales soll eruiert werden, wie sich der führende Fußball-Kontinent zum neuen, alten Blatter-Regime stellt. Bisher gibt die Fußballunion Uefa ein erbärmliches Bild ab. Bei der Wahl in Zürich versteckte sie sich hinter einem chancenlosen Kandidaten, Prinz Ali bin al-Hussein aus Jordanien.

Jetzt, da diese Strategie krachend gescheitert ist, hat Europa nur noch einen Schuss: Uefa-Chef Michel Platini setzte sogar WM-Boykottdrohungen auf die Agenda. Das wäre ein starkes Druckmittel. Keine Angst, zum Boykott käme es nie: Man braucht Sponsoren und Medienkonzerne ja nur vor die Wahl zu stellen, ob sie eine WM ohne Deutschland, England und Holland wollen - oder eine ohne Blatter.

England agiert bereits, der Funktionär David Gill trat Blatters neuem Vorstand gar nicht erst bei. Aber Deutschland zickt und ziert sich, der DFB versteckt sich hinter wolkiger Rücksichts-Rhetorik: Man müsse auch Zypern oder Aserbaidschan ins Boot holen. Das ist Unfug. Es rückt aber eine mögliche Erklärung für die deutsche Angst vor Blatter in den Fokus.

Der hielt sich den DFB ja schon einmal erfolgreich vom Hals. Auch 2012 forderten gleich mehrere Funktionäre aus dem Sommermärchenland seinen Rücktritt. Der Patriarch machte kurz eine Korruptions-Andeutung zur deutschen WM-Bewerbung für 2006. Und sofort erstarb jede Kritik.

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