Kommentar:Zweifel im Karneval

Aumüller

Johannes Aumüller ist sportpolitischer Korrespondent in Frankfurt.

Zweieinhalb Profiteams, deutsche Spitzenkräfte, wiederbelebte Rundfahrten - die Radsport-Macher wollen den Stellenwert ihres Sports in Deutschland mal wieder verändern. Doch der Ausgang der neuen Offensive ist ungewiss.

Von Johannes Aumüller

Ist Deutschland ein Radfahrland? Natürlich, lautet die Antwort im Jahr 200 nach der Erfindung dieses Fortbewegungsmittels durch einen gewissen Karl Drais. Das dürfte sich auch an diesem verlängerten Wochenende wieder zeigen, wenn es Hobbyradler in Scharen nach draußen zieht. Die Zahl derer, die das Velo täglich nutzen (und sich über schlechte Rad-Infrastruktur oder den ewigen Kleinkrieg mit Autofahrern ärgern), nimmt stetig zu, das E-Bike verstärkt den Trend. Aus interessierten Kreisen kommt gar die - schwer überprüfbare - Botschaft, dass Radfahren in keinem anderen europäischen Land so populär sei wie in Deutschland.

Ist Deutschland aber nicht nur Radfahr-, sondern auch Radsportland? Die Antwort ist ebenso klar: nein. Das war es übrigens noch nie, auch nicht in den Tagen, als die ARD zu Jan Ullrichs Fahrt ins Gelbe Trikot einen Brennpunkt sendete und die Kraft des Müsliriegels als Grundlage für den Sieg bei der Tour de France galt. Da war Deutschland vielleicht ein sommerferienfüllendes Tour-und-Ulle-Land, aber kein wirkliches Radsportland wie Frankreich oder Belgien. Schon die Klassiker interessierten quasi nicht.

Nach all den Dopingjahren gibt es nun mal wieder den Versuch, den Stellenwert dieser Sportart zu verändern; vor allem die Amaury Sport Organisation (Aso), Veranstalter der Tour und sonstiger Rennen, mischt mit. Sie wittert angesichts des theoretisch großen Marktes großes ökonomisches Potenzial. Am Montag steigt erstmals unter ihrer Aufsicht die Traditionsfahrt rund um Frankfurt - aufgewertet zum Rennen der obersten Kategorie und mit dem bestem Teilnehmerfeld seit Langem. Im Sommer startet die Tour de France mit einem Zeitfahren in Düsseldorf, Spezialist Tony Martin in Gelb ist das erwartete Szenario. Und 2018 führt die Aso wieder eine Deutschland-Tour durch, wenn auch nur mit vier Etappen. Ein Stamm deutscher Fahrer um Martin ist ohnehin seit einigen Jahren in der Weltspitze etabliert, inzwischen gibt es auch zweieinhalb deutsche Spitzenteams. Bora (mit Weltmeister Peter Sagan) und Sunweb fahren mit deutscher Lizenz, bei Katjuscha kommt das Geld nicht nur aus Moskau, sondern auch vom Bielefelder Shampoo-Hersteller Alpecin.

Ob sich die Radsport-Offensive in Deutschland nachhaltig auswirkt, ist fraglich

Natürlich werden am Montag in Frankfurt und im Taunus viele Menschen an der Strecke sein - und noch mehr beim Tour-Start in Düsseldorf. Ein Radrennen ist stets auch eine Mischung aus Volksfest und Karneval, das wirkt anziehend. Aber ob sich diese Offensive wirklich nachhaltig auswirkt, ob die TV-Zuschauer-Zahlen bei der Tour von zuletzt einer Million täglich ansteigen, ob die Aso so viel Geld verdient wie gewünscht - das alles ist fraglich. Denn für den Status des Radsports in Deutschland sind nun mal nicht nur Erfolge deutscher Fahrer und Mannschaften oder hochklassige Rennen verantwortlich, sondern vor allem der Umgang mit der Dopingfrage. Und auch wenn der Radsport sich noch tausendmal für geläutert erklärt, bleibt bei vielen Interessierten der große Zweifel.

Sie sehen, welche belasteten Personen noch immer im und vor allem ums Feld herum mitwirken. Oder wie halbherzig die Kommission des Weltverbandes vorgegangen ist, die angeblich ganz radikal die Vergangenheit aufklären sollte. Und sie wundern sich, warum nach einem Jahrhundert dokumentierten Dopings ausgerechnet im angeblich sauberen 101. Jahr das Peloton so schnell fährt wie nie zuvor. Lässt sich das wirklich nur mit technischem Fortschritt, weicheren Matratzen zur besseren Regeneration und nahrhafterem Müsli-Rezept erklären?

Die Zuschauer wollen sich nicht mehr linken lassen. Da gehen sie lieber selbst Fahrrad fahren.

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