Kommentar:Viren und Wind

Kommentar: undefined

Skispringen schafft es einfach nicht, ein perfektes Produkt zu werden. Das ist manchmal ein Ärgernis, insgesamt aber sympathisch - auch bei der Vierschanzentournee.

Von Volker Kreisl

Längst haben Optimierer herausgefunden, dass Sport mehr sein sollte als nur Sport, dass er ein Produkt sein muss. Im Überlebenskampf mit anderen Sparten besteht eine Disziplin demnach nur, wenn sie schnell kapierbar, gut dramatisierbar und kompakt versendbar ist. Das ist logisch und wohl auch wichtig. Die Sportart Skispringen dagegen schafft es einfach nicht, ein perfektes Produkt zu werden. Das ist manchmal ein Ärgernis, insgesamt aber sympathisch.

An die 65. Ausgabe der Vierschanzentournee wird man sich noch länger erinnern, wegen ihres turbulenten Finales, und wegen der Tage zuvor. Von Anfang an waren viele Leistungen rätselhaft und - jedenfalls in knappen Sätzen - dem Konsumenten nicht vermittelbar. Später wurde es zwar dramatisch, es blieb aber immer kollegial unter den Wettstreitern. Und dann fehlte es in Innsbruck am Grundsätzlichen: an der Beleuchtung.

Weltcup-Beherrscher Prevc verlor etwas im Sprung-Ablauf

Immer besser hat der Weltverband Fis in den vergangenen Jahrzehnten zwar seine Probleme in den Griff bekommen. Mit neuer Messtechnik, neuem Material und mit Schneekanonen. Zwei Faktoren entziehen sich aber weiterhin den Kontrolleuren: die menschliche Seele und der Wind. Das mit der Seele klingt hochtrabend, aber wo soll man das Problem sonst verorten, wenn Sportler trotz körperlicher Top-Form und bestem Selbstbewusstsein mit einem Male nichts mehr auf die Reihe kriegen?

Im ersten Sprung dieser Tournee verlor der erst 17-jährige, sehr selbstsichere Weltcup-Beherrscher Domen Prevc irgendein Detail in seinem Sprung-Ablauf, und alle Siegpläne waren dahin. Auch sein Bruder Peter und der Deutsche Severin Freund suchen seit Monaten nach so einer verlorenen Kleinigkeit, obwohl sie zuvor fast alles gewannen und als perfekt galten. Meistens finden Springer dieses Detail erst wieder, wenn sie aufhören, verzweifelt danach zu suchen. Der Rekordsieger Gregor Schlierenzauer aus Österreich hatte sogar eine Sinn-Krise, er kommt demnächst aber wieder zurück.

Für eine effiziente Vermarktung sind unerklärliche Psycho-Probleme Gift, in der zweiten Hälfte der Tournee störten dann aber ohnehin andere Umstände. Turbulent wurde es in Innsbruck zunächst, weil ein dritter Faktor hinzukam, ein Magen-Darm-Virus, das mindestens vier österreichische Springer erwischten. Doch das fällt unter allgemeines Pech. Wirklich "o'zipft" war Österreichs Team vom Wind - und von der Tatsache, dass sich bei der Vorentscheidung der Tournee bessere Lösungen angeboten hätten.

Eine Flutlichtanlage am Bergisel könnte helfen

Manches war möglich, etwa ein paar Sekunden mehr Wartezeit auf abnehmenden Rückenwind für Leute wie Stefan Kraft, die noch um den Gesamtsieg sprangen; vielleicht sogar eine Absage, also mal wieder eine Drei-Schanzen-Tournee, was freilich Zuschauer und Werbekunden verprellt hätte.

Auch eine künftige und dauerhafte Lösung ist möglich: die Flutlichtanlage am Bergisel, um die seit Jahren gerungen wird. Damit wäre mehr Zeit gewonnen, um abzuwarten, bis ein Sturm nachlässt. Gegen das Flutlicht sperren sich die Nachbarn, es wird verhandelt, schon wegen der Weltmeisterschaft, die 2019 in Innsbruck und Seefeld stattfindet. Ein Anwohner hat zu Recht Angst davor, dass eine teure Beleuchtungsanlage mit vielen lauten Events amortisiert wird. Aber genauso wenig ist es einem Athleten zumutbar, dass er aus dem Rennen geblasen wird.

Er kann verlangen, dass Fis und Tournee alles tun, um eine gerechte Basis zu schaffen, auf der sein Pech akzeptabel ist. Auch wenn das Skispringen wegen seiner Rätsel und Überraschungen nie ein glattes und perfektes Produkt sein wird.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: