Kommentar:Unter Naivitätsverdacht

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2014 der FC Bayern, 2017 dann Borussia Dortmund - beide Klubs gingen Real Madrid in die Konter-Falle. Die Bilder ähneln sich, und die Strategien auch. Wieso Dortmunds neue Taktik nur in sich selbst zusammenfallen kann.

Von Klaus Hoeltzenbein

Es ist ja nicht so, dass Borussia Dortmund in seinem Schmerz und den quälenden Taktikdebatten, die folgen werden, so ganz allein wäre. Gibt es doch brisantes historisches Material, auf das der BVB in der Analyse seines 1:3 gegen Madrid zurückgreifen könnte. Da sollte es auch nicht stören, dass dieses in München in der Säbener Straße eingelagert ist. Ein guter Archivar hat sie sekundenschnell wieder zur Hand, all die hämischen Schlagzeilen, die im April 2014 auf den FC Bayern niederprasselten. Stellvertretend sei El Mundo zitiert, jene Zeitung aus Madrid, die den schweren Hammer auspackte: "Real walzt das Team von Pep Guardiola mit einem 4:0 platt."

Gut, damals war es bereits ein Halbfinale, damals war der FC Bayern noch der Titelverteidiger, und Trainer Guardiola sah sich im Vergleich mit seinem Vorgänger Jupp Heynckes vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit verfolgt. Er habe die Mannschaft bedingungslos nach vorne und damit ins Verderben geschickt. Ohne Netz, ohne Absicherung, nur mit dem Vorsatz, den Gegner nach einem 0:1 im Hinspiel zu überlaufen. So, als sei dieser gar nicht vorhanden. Ein abenteuerliches Vorhaben angesichts "des weißen Tornados" (L'Équipe, Frankreich); angesichts der besten Kontermannschaft der Welt, die Real mit den Olympia-verdächtigen Sprintern Gareth Bale und Cristiano Ronaldo immer noch ist. Würde man die Bilder von 2014 und 2017 übereinanderlegen, wären viele Szenen deckungsgleich, nur dass damals im Münchner Rot und heute im Dortmunder Gelb den Weißen hinterhergehechelt wurde.

Es sieht so aus, als baue Bosz zunächst die Zuckertürmchen, erst dann das Fundament

Es ist keine so große Überraschung, dass Guardiola und Peter Bosz stur in dieselbe Falle steuerten, obwohl beide diese bestens kannten. Denn der Katalane wie der Niederländer berufen sich auf denselben Lehrmeister, beide folgen fast bedingungslos jener Idee des "Football total", die der 2016 verstorbene Johan Cruyff bei Ajax Amsterdam entwarf und beim FC Barcelona zur Reife führte. Weiterentwickelt hat diesen Stil dort Guardiola, als er um das Wundertrio Xavi/ Iniesta/Messi ein Ensemble gruppierte, das den Gegner nur beim Anstoß am Mittelkreis kurz an den Ball lassen wollte.

In seiner perfekten Ausprägung ist "Football total" ein Spektakel. In seiner weniger perfekten Ausprägung kippt dieser Stil leicht ins Arrogante. Dann kann das ganze System zusammenfallen, wie es 2014 den Bayern und jetzt den Null-Punkte-Dortmundern in der Champions League gegen Tottenham (1:3) und Real (1:3) widerfuhr. Was auch daran liegt, dass der Kader des BVB zwar für die Offensive ein Versprechen ist, der Mannschaft jedoch eine Figur, eine Autorität im defensiven Mittelfeld zu fehlen scheint, die den Laden unter Hochdruck zusammenhält - eine Art Versicherung für die großen, die internationalen Spiele. Wenn also jene Gegner kommen, gegen die man schnell mal unter Naivitätsverdacht geraten kann.

Fast trotzig haben die Dortmunder erklärt, dass sie ihrer neuen, optimistischen Idee vom Spiel treu bleiben wollen. Diese hat sie in der Bundesliga an die Tabellenspitze getragen, auch wenn es so aussieht, als baue Trainer Bosz zunächst die Zuckertürmchen und später mal das Fundament. Eine Statik, die deshalb noch zusammenfällt, sobald im Europapokal der weiße Tornado tobt.

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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