Kommentar:Überfälliger Batteriewechsel

Bundesliga - Hamburger SV v Borussia Moenchengladbach

Die legendäre HSV-Bundesliga-Uhr (im Hintergrund) hat in ihrer jetzigen Widmung ausgedient: Nach dem Abstieg ist eine neue Zeitrechnung erforderlich.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Abschied nach 19 985 Tagen Bundesliga: Der HSV-Abstieg ist das Ende vom Mythos, dass Misswirtschaft und Fehlplanungen bei einem Klub nicht bestraft werden. Deshalb ist er auch eine gute Nachricht.

Von Carsten Scheele

Ist 2018 das Jahr der Gerechtigkeit? Jedenfalls ist viel Zeit vergangen seit 2014, 2015 und 2017, als die berühmte Bundesliga-Uhr des Hamburger SV weiterticken durfte, obwohl sie den fälligen Batteriewechsel zum Saisonende mehrmals nicht hätte überstehen dürfen.

Der HSV war der Klub der 1000 Leben. Wie in einem Computerspiel, bei dem man nur eine Tastenkombination drücken musste, um einen Extraversuch zu erhalten, rettete sich Hamburg Jahr für Jahr vor dem Gang in die Zweitklassigkeit: 2014 mit zwei Unentschieden in der Relegation gegen Greuther Fürth, 2015 sogar in der Nachspielzeit des Relegations-Rückspiels gegen den Karlsruher SC. Zweimal war der HSV quasi weg, zweimal wurde er reanimiert.

Auch 2017 war der Klub auf dem besten Weg in Richtung Relegation, aber im entscheidenden Spiel gegen Wolfsburg tauchte ein Spieler namens Luca Waldschmidt auf und schoss das entscheidende Tor - davor hatte er noch nie in der Bundesliga getroffen. Irgendeine Macht rettete den HSV immer wieder, und der Verein versuchte - auch mangels Erfolgen -, daraus ein Image zu machen.

Mit den Jahren wurde das Chaos zur neuen HSV-Identität

Das Maskottchen ist seit 2003 ein Dinosaurier, im Stadion installierte der Verein die berühmte Bundesliga-Uhr, die die Zeitspanne seit dem Anpfiff des ersten Spiels am 24. August 1963 um 17 Uhr bei Preußen Münster anzeigt. Nun, am 12. Mai 2018 gegen Borussia Mönchengladbach, ist die Zeit des HSV in der Bundesliga abgelaufen - nach 54 Jahren, 261 Tagen, 0 Stunden und 36 Minuten. Und das auch nur, weil ein paar Zuschauer, die den Begriff "Fan" nicht verdient haben, mit Rauchbomben und Böllern den Abpfiff um 17 Minuten verzögerten.

Dass der HSV als Bundesliga-Gründungsmitglied tatsächlich erstmals abgestiegen ist, ist für viele traurig. Die Aufholjagd zum Saisonende mit Siegen gegen Schalke, Freiburg, Wolfsburg und Mönchengladbach war ehrenwert; unter dem früheren U 23-Coach Christian Titz spielte die Mannschaft endlich wieder den offensiven Fußball, den die Anhänger so lange vermisst hatten. Vielleicht hätte es wieder gereicht, wenn Titz zwei, drei Spiele früher gekommen wäre. Doch so war die Hypothek (acht Punkte Rückstand im April) zu heftig: Dieser Abstieg ist das Ende vom Mythos, dass Misswirtschaft und Fehlplanungen bei einem Klub wie dem HSV einfach nicht bestraft werden. Deshalb ist er auch eine gute Nachricht.

Es ließen sich Bücher füllen über die Menschen, die in den vergangenen zehn Jahren am HSV herumdoktern und mitschrauben durften. 13 Trainer verschliss der Klub in dieser Zeit (Interimstrainer nicht mitgerechnet), fast ebenso viele Vorstände, Manager, Sportdirektoren. Jeder brachte eigene Ideen mit, werkelte auf seine Weise an Verein und Mannschaft herum, das Chaos wurde zur HSV-Identität. Erfolg war in diesem Milieu kaum noch möglich, die Spieler ließen sich anstecken: Wie von einem seltsamen Virus befallen spielten sie zuverlässig 50 Prozent schlechter als bei ihren vorherigen Klubs. Viel Geld bekamen sie trotzdem. Das größte Wunder war eigentlich, dass es so lange gut gegangen ist.

Dass sich der Klub in der zweiten Liga nun erholen kann, Stichwort Batteriewechsel, ist dagegen nur halb richtig. Die zweite Liga kann zwar eine Art Kur werden für den Verein, jedoch eine, die sofort anschlagen muss. Der Klub muss viel zu teuer bezahlte Spieler loswerden und ein Team aufstellen, das sofort aufsteigt. Darunter geht es nicht. Eine zweite Saison in der zweiten Liga wäre schwierig zu finanzieren. Mehr als 100 Millionen Euro Schulden drücken den Verein schon jetzt.

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