Kommentar:Trendiger Anachronismus

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Benzin? Hybrid? E-Antrieb? Wie sieht der Motorsport der Zukunft aus? Beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans lassen sich Antworten auf diese Frage finden.

Von René Hofmann

Am Donnerstag dieser Woche hat sich die schlimmste Tragödie des Motorsports zum 60. Mal gejährt. Mehr als 80 Zuschauer starben beim Unfall des französischen Mercedes-Fahrers Pierre Levegh am 11. Juni 1955, in der 35. Runde des 24-Stunden-Rennens von Le Mans. Nach dem Blutbad änderte sich vieles. Mercedes zog sich aus dem Motorsport zurück. In vielen Ländern wurde die Raserei geächtet, in der Schweiz gilt bis heute ein Verbot von Rundstreckenrennen, das unter dem Eindruck der Tragödie damals verabschiedet wurde.

Und doch: An diesem Samstag werden sie es wieder tun. 168 wagemutige Fahrer aus der ganzen Welt werden in ihre Autos klettern, um diese in Le Mans 24 Stunden lang im Kreis zu scheuchen. Ein unerbittlicher Ausdauertest für Mensch und Maschine. In Zeiten, in denen Autos am Computer entworfen und auf Prüfständen getestet werden, in denen die ganze Welt sich vorgenommen hat, besser auf die Ressourcen zu achten, um vom Klima zu retten, was vielleicht noch zu retten ist und das Automobil von vielen Heranwachsenden längst nicht mehr als das Statussymbol wahrgenommen wird, das es ihren Vorfahren war, wirkt das Rennen wie ein Anachronismus. Aber die Teilnehmer- und die Gästeliste künden vom Gegenteil.

Zum ersten Mal seit 1999 mischen wieder vier Hersteller mit: Porsche, Audi, Toyota und Nissan. Zu ihrem Showdown werden mehr als 200 000 Zuschauer erwartet. Auch der französische Präsident François Hollande hat sein Kommen angekündigt. Mit dem Fußball-Weltverband will gerade niemand in Verbindung gebracht werden. Sich in Le Mans sehen zu lassen, gilt dagegen als très chic.

Dem Motorsport stellt sich eine große Frage: Wie weiter?

Die Renaissance des Motorsports in der Form des scheinbar endlosen Runden-Abspulens erzählt einiges über die Kraft, die Tradition entfalten kann: Wenn es offenbar gelingt, dass Renn- wagen, die sich einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang duellieren, eine Faszination entfalten, dann brauchen Tennis- und Tischtennisspieler nicht länger darüber nachsinnen, wie sie ihr Spiel beschleunigen können, um dem Publikum besser zu gefallen. Immer kürzer, immer gefälliger: Das ist offenbar kein ausnahmsloser Trend.

Was Le Mans aber vor allem zeigt: Dass der Motorsport ganz generell offenbar doch eine Zukunft hat. Dass die gesellschaftliche Skepsis gegen ihn nicht prinzipiell anschwillt. Dass er sich lediglich in einer Phase des Suchens befindet, in der noch nicht klar ist, in welcher Richtung es mit ihm weitergeht. Da gibt es Atavismen wie die Rallye Dakar, bei der in der Wildnis weiter rücksichtslos Benzin verbrannt wird. Neuentwicklungen wie die Formel E, bei der reine Elektrorenn- wagen gegeneinander antreten, deren Batterien aber noch nicht stark genug sind, um auf der berühmten Strecke in Monte Carlo den Hügel zum Casino zu erklimmen. Und es gibt die Formel 1, die ein wenig von beidem sein will: faszinierende alte Welt mit qualmenden Reifen und dröhnenden Motoren und vernünftige neue mit Hybrid-Technik und Energierückgewinnung. Die im Moment aber einen Abschwung erlebt, weil sie vor allem eines ist: zu teuer - für Teams und Fans.

Eine Motorsport-Kategorie hält sich auf Dauer nur, wenn sie regelmäßig beides findet: Mitspieler und Zuschauer. Das Geheimnis des Le-Mans-Aufschwungs liegt im Reglement, das dort vor einiger Zeit beschlossen wurde. Es schreibt, verkürzt gesagt, jedem nur vor, wie viel Energie er verbrauchen darf. Mit welcher Technik das Beste herausgeholt werden kann, bleibt offen. Das beflügelt die Phantasie und den Ehrgeiz der Ingenieure und reizt den stärksten Reflex, der jedem Sport immer gut tut: den, der Beste sein zu wollen.

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