Kommentar:Transferketten nach Hierarchie

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Im Profifußball ist Gleichheit unter den Wettbewerbern nicht gegeben - das zeigt sich in diesen Tagen bei den Trainerwechseln in den Fällen von Augsburg und Schalke 04 mehr als deutlich.

Von Philipp Selldorf

Was mögen sich Max Kruse oder Ron-Robert Zieler denken, wenn ihnen an der Supermarktkasse die Tütchen mit Bildern der deutschen EM-Fußballer überreicht werden - und wenn sie dann gierig die Verpackung aufreißen und ihr eigenes Bild entdecken, das leider nur vom Hersteller, nicht aber vom Bundestrainer in den EM-Kader aufgenommen wurde? Werden sie trotz ihrer Enttäuschung das Bild in ihre Sammlung integrieren?

Kindern, die das Album erworben haben, ist es meistens egal, dass Kruse oder Zieler nicht mit nach Frankreich fahren. Wichtig ist ihnen, die Kollektion zu komplettieren. Dazu wenden sie bereits Methoden aus dem Profifußballgeschäft an: In Köln gab es jetzt den Fall eines Tauschgeschäfts mit Optionsklausel. Die Sondervereinbarung unter den beiden Achtjährigen besagte, dass der Handel - ein Glitzerbild von Mats Hummels gegen eines von Andy Köpke - beidseitig auf Kosten einer Entschädigung (fünf zusätzliche Bilder) rückgängig gemacht werden kann.

Der reale Unterschied zum Profifußball besteht darin, dass es sich um einen Deal unter Gleichen und Gleichberechtigten handelt. Im Profifußball ist Gleichheit unter den Wettbewerbern nicht gegeben, dies lässt sich in diesen Tagen an der Trainerbörse belegen. Soeben gaben Augsburg und Schalke 04 bekannt, neue Trainer unter Vertrag genommen zu haben. Zwar wusste die ganze Welt längst Bescheid, dass Markus Weinzierl nach Gelsenkirchen wechselt, und es war auch kein Geheimnis mehr, dass Dirk Schuster aus Darmstadt der Neue beim FC Augsburg werden soll. Aber außer den Eitelkeiten, die am Rande die Abwicklung der Personalien begleiteten, verzögerte sich der Prozess von Weinzierls Einsetzung auch dadurch, dass der Wechsel eine Kettenreaktion nach unten auslöste, die noch nicht beendet ist und nach klaren Hierarchiemustern verläuft.

Der Europacup-Klub klaut den Mittelständlern den Trainer, die bedienen sich beim Kleinen

Nachdem der umsatzstarke Europacup-Klub Schalke den mittelständischen Augsburgern den Trainer geklaut hatte, bediente sich der FCA bei den eher mittellosen Darmstädtern. Nun wird glaubhaft kolportiert, dass Darmstadt den Trainer des Zweitligisten Fürth, Stefan Ruthenbeck, verpflichten möchte, und dann wäre es nur logisch, wenn sich die Fürther nach gewohnter Art in der dritten Liga nach einem aufstrebenden Trainertalent umsehen würden. So ginge das wohl weiter bis runter in die Kreisliga C.

Schon immer haben ungleiche Machtverhältnisse das Transfergeschehen bestimmt. Aber der Betrieb hat sich neue Gemeinheiten ausgedacht, die den Größenunterschied im Vertragswerk verankern. Auch potente Klubs müssen dabei ihre Grenzen erkennen: So musste Leverkusen 2012 für den jungen Verteidiger Dani Carvajal, der in der Reserve von Real Madrid spielte, fünf Millionen Euro bezahlen - und trotzdem akzeptieren, dass sich Real vorbehielt, Carvajal bei Gefallen gegen Erstattung des Kaufpreises und eine kleine Entschädigung zurückzunehmen. Was dann auch geschehen ist. Diese nach dem Darwin-Prinzip verfassten Verträge kommen zunehmend in Mode.

Weinzierl hatte in Augsburg unter der Einschränkung verlängert, dass er zugunsten eines attraktiven Bewerbers aussteigen darf. Beim FCA zeigte man sich nun verstimmt, dass er davon Gebrauch machte. Aber die Erfahrung der strukturellen Degradierung müssen auch Großklubs machen. In Dortmund ist die Stimmung nicht nur deshalb angespannt, weil man die Nationalspieler Hummels und Gündogan an noch mächtigere Konkurrenten verloren hat. Sondern weil man ahnt, dass der nächste Wink aus München dem Trainer Tuchel gelten könnte.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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