Kommentar:Steirer Melange

Ekliger Fußball mit einer Milchhaube Schmäh obendrauf: Das ist der FC Ingolstadt. Vom Stil, den der Bundesliga-Neuling pflegt, können künftige Aufsteiger etwas lernen - und sogar etablierte Klubs wie der VfB Stuttgart.

Von Christof Kneer

Armin Veh hat nach eigener Definition schon alles erlebt im Fußball, er ist angeblich seit 25, vielleicht aber auch schon seit 45 Jahren im Geschäft, und wer wie Veh schon beim HSV und beim VfB angestellt war, hat das Schlimmste ohnehin schon gesehen. Trends und Moden kann so ein Veteran nicht mehr ernst nehmen, über falsche Neuner und abkippende Sechser kann er herrlich dreckig lachen. Aber am Wochenende hat es doch tatsächlich ein Kollege geschafft, Armin Veh noch zu überraschen. Der Ingolstädter Trainer Ralph Hasenhüttl hat nach dem Spiel eine taktische Variante verraten, die selbst Veh in seinen 25 oder 45 Dienstjahren noch nie gehört hat. Man spiele in der zweiten Hälfte immer auf der Seite, auf der die Spielerfrauen sitzen, sagte Hasenhüttl lässig, und da wollten die Jungs halt immer "besonders zeigen, wie gut sie sind".

Trainer Hasenhüttl kredenzt "ekligen" Fußball mit einer Milchhaube Schmäh obendrauf

An solchen Wochenenden merkt man wieder einmal, wie wichtig ein Trainer für einen Standort ist. Während in Stuttgart der schwäbische Bollerkopf Alexander Zorniger die eigenen Spieler anrumpelt, lässt der österreichische Kaffeehaus-Pianist Ralph Hasenhüttl seinen Charme spielen. Der Trainer liefert eine gute Geschichte, und auf einmal hat die Branche vergessen, dass sie eigentlich finster entschlossen war, diesem Neuling sein Werksklub-Aroma zu verübeln.

Wer nach acht Spieltagen versucht, den unverschämt branchenwidrigen Tabellenplatz dieses Aufsteigers zu ergründen, der landet bei der Steirer Melange, die der Trainer aus Graz angerührt hat. Er kredenzt "ekligen" Fußball (O-Ton Hasenhüttl) mit einer Milchhaube Schmäh obendrauf. Hasenhüttls Elf präsentiert einen enorm aufwendigen Pressing-Fußball, wie ihn in ähnlicher Ausprägung auch der Bollerkopfkollege Zorniger spielen lässt; aber während der Stuttgarter Fußball sich zuletzt oft gegen die eigenen Spieler wendete, setzt der Fußball aus Ingolstadt plangemäß den Gegner unter Stress. Zwar kann keiner abschätzen, wann Ingolstadts Fußball in dieser Saison an seine Grenzen stößt, dennoch können sich künftige Aufsteiger (und der VfB Stuttgart) zwei Dinge in Ingolstadt abschauen. Erstens: Auch ein riskanter Spielstil kann funktionieren, wenn er über längere Zeit von einer weitgehend unveränderten Gruppe eingeübt und automatisiert wird. Zweitens: Ein Spielstil muss auch zur Mannschaft passen. In Stuttgart fragen sich ein paar der Supertechniker ja vermutlich, warum sie eigentlich dauernd den Ball jagen sollen, wo sie doch viel lieber einfach kicken würden; in Ingolstadt dagegen wissen die Profis, dass dieser Spielstil das Beste aus ihren Möglichkeiten herausholt.

Wenn sich zu diesen Automatismen und zu dieser Überzeugung noch die Euphorie eines guten Saisonstarts gesellt: Dann wird das Unmöglich plötzlich möglich. Dann hat der eklige, lässige FC Ingolstadt plötzlich fünf Punkte mehr als Armin Vehs Frankfurter und zehn Punkte mehr als Alexander Zornigers VfB.

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