Kommentar:Spuk im Gebälk

Es verwundert, wie eilig sich die Branche bei der Bundestrainer-Suche auf Ottmar Hitzfeld als Idealbesetzung festlegt.

Von Thomas Kistner

Zwar steht außer Frage, dass der Coach das Gütesiegel A trägt - nur: Orientiert sich diese Wahl wirklich am Bedarf? Wenn es so ist, dass der deutsche Fußball in kürzester Zeit bis 2006 eine neue, deutlich verjüngte Nationalelf präsentieren will, welche die Erbkrankheiten Spielverhinderung und Ergebnisverwaltung überwunden hat, dann braucht es ja einen, der sich darauf versteht, junge Kräfte zu finden und zu formen.

In dem Bereich aber hat der große Titelsammler Hitzfeld bisher wenig Kompetenz bewiesen. In Krisenzeiten bei Dortmund und beim FC Bayern wurden ihm sogar Defizite in der Nachwuchspflege vorgeworfen. Und entstammt nicht der einzige aktuelle Hoffnungsträger, Philipp Lahm, Hitzfelds engem Wirkbereich? Der FC Bayern schickte ihn nach Stuttgart, dort wurde Lahm zum Stamm- und Schlüsselspieler.

Es fällt auf, dass gar kein Versuch unternommen wird, die Bundestrainer-Frage mit aller fachlichen Ernsthaftigkeit anzugehen. Es gibt keine Personalpolitik, kein Krisenpapier, keine Kontakte. Nur Waffengeklirr auf der Funktionärsebene, vertraute Verschiebestrategien. Womöglich liefe auch eine sorgfältige Sichtung auf Hitzfeld hinaus, dann aber nach Prüfung anderer tauglicher Optionen, von Heynckes bis zum Deutsch sprechenden Elsässer Arsene Wenger.

Vielleicht muss man aber auch ganz froh sein, dass es keine vernünftige Debatte gibt. Die würde dauern, und der Vorteil der flotten Hitzfeld-Verpflichtung liegt auch darin, dass DFB-Chef Mayer-Vorfelder und andere treibende Kräfte nicht ihre eigenen, stillen Strategien entfalten können. MV sagt es nicht, Bild lässt immerhin die Leser sprechen (indem es 53 Prozent Zustimmung verbreitet): Christoph Daum geistert weiterhin durchs morsche Fußballgebälk. Dabei ist erschütternd genug, dass über diesen Bundestrainer überhaupt noch nachgedacht wird.

Aber mit dem Nachdenken ist es nicht weit her in der Branche, sonst hätten die Erkenntnisse aus ihrer schlimmsten Personalschlacht länger überdauert. Damals, im Herbst 2000 in der Auseinandersetzung Hoeneß/Daum, lagen ja die zwei Grundcharaktere im Clinch. Ausgerechnet Hoeneß aber, der an der Spitze dieses schillernden Gewerbes seit Jahrzehnten seriös und überzeugend arbeitet, geriet in die Mangel einer besinnungslosen Kick- und Medienwelt - Daum stand bis zum jähen Ende der Koksaffäre als moralischer Sieger da.

So verzerrt waren die Perspektiven. Nun wird erneut sondiert, ob der alte Kamerad von MV und anderen Rettern des Fußballs nicht irgendwie vermittelbar ist - vielleicht ja übers christliche Gebot der zweiten Chance? Von wegen. Nichts wäre unverzeihlicher, als den selben Fehler zweimal zu machen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: