Kommentar:Später guter Tag

Dass einflussreiche Russen in Rio ausgesperrt werden, ist ein kraftvolles Signal. Doch es ist beunruhigender, wie lange der systemische Betrug geduldet wurde.

Von Johannes Knuth

Der Freitag war ein guter Tag für den Sport. Zumindest, wenn man durch all die Wortmeldungen und Schlagzeilen der internationalen Presse blätterte. "Eine historische Entscheidung", urteilte die spanische Zeitung La Vanguardia. "Der Leichtathletik-Weltverband IAAF kennt kein Pardon mit Russland", assistierte Marca. Auch Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, fand es "historisch", dass die IAAF am Freitag den Bann für Russlands Systemdoper nicht gehoben hatte. Eine der größten und einflussreichsten Sportnationen der Welt wird in Rio zumindest von den Leichtathletik-Wettbewerben ausgesperrt, das ist tatsächlich ein kraftvolles Signal, wobei: Noch ist nicht ganz klar, wie viele Ausnahmen es für nachweislich saubere Sportler geben wird, wie viele Zulassungspapiere das gastgebende Internationale Olympische Komitee letztlich für Russland ausstellen wird. So oder so: Der Freitag war "ein guter Tag für die Glaubwürdigkeit des Sports", fand Prokop, "und für alle Sportler, die sich regelkonform auf Wettbewerbe vorbereiten".

Das stimmte schon alles, irgendwie. Und irgendwie auch nicht. Kam dieser gute Tag, der saubere Sportler in Rio und überhaupt vor Konkurrenten aus kontaminierten Verbänden schützen soll, nicht viel zu spät? Was ist mit dem deutschen Geher André Höhne, der sich jahrelang brav hinter den, wie mittlerweile bekannt ist, notorischen Betrügern aus Wiktor Tschegins Geher-Armee einreihte, der im Dezember 2014 dann heulend von dem Fernseher saß, als sie die Bilder vom Systembetrug zeigten? Was ist mit all den anderen Sportlern, die Jahre später erfuhren, dass ihnen eigentlich ein Moment auf der großen Bühne zustand? Die ihre Medaillen dann per Post erhielten? Und die um Förder- und Sponsorengelder betrogen wurden, mutmaßlich bis in den sechsstelligen Bereich hinein? Nicht alle können sich so glücklich schätzen wie der australische Geher Jared Tallent. Am Freitag überreichten sie ihm in Melbourne seine olympische Goldmedaille, die ihm eigentlich in London 2012 zugestanden hätte, sie riefen ihn als Sieger aus, während Nieselregen und warmer Applaus auf ihn herabregnete. Es war ein schöner Versuch, einen Moment nachzuzeichnen, der längst vorbeigezogen ist.

Ein wichtiger Tag, der eher vom Versagen als vom Sieg erzählt

Nein, so wichtig dieser Freitag auch für den Weltsport war, er erzählte weniger von einem Sieg, sondern vom Versagen. Fast täglich tropfen gerade neue Nachrichten an die Öffentlichkeit, wer wann bereits was über den orchestrierten Betrug in Russland wusste, der damals bis in die höchsten Flure der Weltverbände wucherte. Russlands Systemdoper hätten längst auffliegen können, nein, müssen. Zum Beispiel, wenn die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada nicht jahrelang hunderte E-Mails und Hinweise von Kronzeugen wie den Stepanows wegmoderiert hätte. Oder wenn die gleiche Wada Hinweise der russischen Diskuswerferin Darja Pischtschalnikowa über Systemdoping in Russland in vertrauensvolle Hände gelegt hätte - stattdessen meldeten sie Pischtschalnikowas Anzeigen bei jenen Funktionären, die von der Diskuswerferin beschuldigt wurden. Oder wenn der damalige Vizepräsident und heutige IAAF-Chef Sebastian Coe brisanten Hinweisen nachgegangen wäre. Oder, oder, oder. Russlands jahrelanger Betrug, das ähnelte einem großen Banküberfall, bei dem vorher sämtliche Alarmanlagen abgeschaltet wurden und viele Wachmänner in die andere Richtung schauten, als die Diebe einmarschierten.

Russland, auch da hatte DLV-Präsident Prokop am Samstag recht, kann nur der Anfang gewesen sein. Auf dem Weg zu einer Anti-Doping-Instanz, die vollständig aus dem Filz des Weltsports gelöst wird, mit supranationalen Ermittlungs- und Testeinheiten. Der Tag, an dem der Anti-Doping-Kampf eine derartige Form angenommen hat, wird ein guter Tag für den Sport sein.

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