Kommentar:Sonderpreis für Gänsehaut

Misst man den Fußball der Weltklubs in jener Währungseinheit, die dort nur noch zu zählen scheint, also in Titeln, dann ist die Mission des Pep Guardiola gescheitert. Aber ist das wirklich alles?

Von Klaus Hoeltzenbein

Dreimal Halbfinale, dreimal verloren. Dreimal kein Auswärtstor geschossen. Dreimal haben die Spanier die Tür zum Finale zugeschlagen. Erst Real Madrid (2014), dann der FC Barcelona (2015), nun die Maurer-Weltmeister von Atlético Madrid. Auch das ist ein Bayern-Triple, allerdings ein völlig anderes als jenes, für das sich Jupp Heynckes 2013 in der Klubchronik verewigen konnte. Misst man den Fußball der Weltklubs in jener Währungseinheit, die dort nur noch zu zählen scheint, also in Titeln, dann ist die Mission des Pep Guardiola gescheitert. Er kam mit dem Vorsatz, die Champions League zu gewinnen, wie es ihm mit Tiki-Taka-Barcelona gelungen war - doch in München verdichtet sich die Pep-Phase im Kopfkino so vieler nun auf drei epische Niederlagen.

Ob man der Pep-Phase damit gerecht wird? Würde man allein sein letztes großes internationales Spiel mit den Bayern zum Maßstab nehmen, hätte Guardiola zumindest sein ideelles Ziel erreicht. Denn seine über drei Jahre entwickelte Sturm-und-Drang-Elf präsentierte gegen Atlético eine perfekte Mixtur aus Pep-Ideen und klassischen Mia-san-mia-Tugenden, außer einer: dass in einer vermeintlich klaren Dramaturgie früher fast immer der FC Bayern siegte. Am Ende aber stand es 2:2 (Hinspiel 0:1, Rückspiel 2:1) - übers Finale entschied das verflixte Auswärtstor, das fehlt.

Sonderpreise für Gänsehaut-Fußball gibt es offiziell nicht. Was zählt es da schon, dass Bayern gegen Atlético eines der fesselndsten Duelle überhaupt war? Ein Clash der Kulturen - flamboyante Offensive gegen intellektuelle Defensive. Die einen wollen immer den Ball, die anderen benötigen ihn nur für wenige, prächtig designte Gift-Konter. Im Kontrast zu diesem Krimi wirkte das zweite Halbfinale, in dem Real gegen ManCity mit einem abgefälschten Tor auskam, wie ein Film aus einer anderen Liga.

Noch fern am Horizont taucht nun die Frage auf, ob die Pep-Ära nach diesem dreifachen Halbfinal-K.-o. nicht doch ungekrönt zu Ende geht. Die Frage ist auch, ob sich der FC Bayern mit Nachfolger Carlo Ancelotti in Kürze neu definieren muss, ob der Kader renovierungsbedürftiger ist, als viele es vermuten. Gerade weil in dieser prickelnden Nacht, als es drauf ankam, dann doch wieder die Älteren, die Dreißiger (Lahm, 32, Ribéry, 33, Alonso, 34, sowie Vidal, 28) die treibenden Figuren waren. Auch für den absenten Flügelflitzer Robben, 32, ist das Karriereende nicht mehr sternenfern.

Und jetzt wird zudem das Pep-Korsett abgelegt, das darauf zielte, dem Gegner die Luft abzuschnüren, aber auch das eigene Publikum zu umschmeicheln. Allerdings ist derjenige, der diese im Kern volksnahe Strategie aus Barcelona importierte, den Fans des FC Bayern seltsam fremd geblieben. Guardiola, der Distanzierte, hat es nicht zugelassen, ihn näher kennenzulernen. Er ist kein Mann der Kurve, allein sein Fußball, so die karge Botschaft, solle für ihn sprechen.

Vor dem Atlético-Spiel waren laute Pep-Pep-Pep-Sprechchöre eigentlich undenkbar, wenn sich der FC Bayern am Pfingstsonntag mit der Meisterschale auf dem Rathausbalkon zeigt. Das könnte sich nun womöglich ändern. Der letzte Eindruck, der dann zählt, wird sich in dem zur Pep-Abschieds-Gala aufgewerteten Pokalfinale gegen Borussia Dortmund am 21. Mai in Berlin bilden. So manchem in der Bayern-Kurve dürfte es aber schon heute dämmern: Dem Fußball, den dieser rätselhafte Katalane lehrt, wird man, mit etwas Abstand, vermutlich doch eine Träne nachweinen.

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