Kommentar:Seltsame Schwankungen

Die jüngsten Enthüllungen werfen einen Schatten auf die große Zeit der deutschen Langläufer: Im Rückblick erkennt man verdächtige Leistungskurven.

Von Thomas Hahn

Wenn es um den Langlauf geht, kann den deutschen Skifreund eine schwere Wehmut befallen. Das waren noch Zeiten, als die Abteilung im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends Weltcup-Siege und Medaillen sammelte. Evi Sachenbacher-Stehle, Claudia Nystad, René Sommerfeldt, Axel Teichmann, Tobias Angerer hießen die Protagonisten eines Ausdauersport-Hochs im Deutschen Skiverband (DSV), das es davor nie gab und von dem jetzt kaum noch etwas zu sehen ist. Selige Erinnerung - erst recht, nachdem der damalige Bundestrainer Jochen Behle erklärt hat, er lege für seine Erfolgsmannschaft "die Hand ins Feuer". Hurra.

Die wahren Gründe für einen Sieg werden oft nicht abgebildet

Hurra? Die offizielle Geschichtsschreibung des Wintersports weist besagte Spitzenleister tatsächlich als unbescholtene Sieger aus. Sogar die zweimalige Olympiasiegerin Evi Sachenbacher-Stehle hat vor dem Sportrecht als solche zu gelten; ihre erste Dopingsperre kassierte sie erst 2014 nach ihrem Wechsel zum Biathlon. Allerdings neigt die Sportgeschichte zur Mythenbildung. Was die wahren Gründe für einen Sieg waren, bildet sie oft nicht ab. Manchmal helfen Enthüllungen, das Bild nachträglich zu klären, so wie das einst im Radsport durch Kronzeugen und behördliche Ermittlungen gelang. Aber meistens bleiben Ahnungen halt nur Ahnungen. Zum Beispiel im Langlauf.

Daran erinnert man sich jetzt wieder, nachdem ein Rechercheverbund berichtet hat, dass zwischen 2001 und 2017 viele Langlauf-Medaillengewinner verdächtige Blutwerte aufwiesen. Geschichten geraten unter Vorbehalt. Betroffene sind genervt. Behle will Namen, Angerer auch, Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes auch.

Vermutlich ist das eine Schutzempörung. Die Männer wissen sicher, welche Namen sich hinter den Daten verbergen könnten. Vor allem Behle, der schon zu aktiven Zeiten, als Blutdoping eine nicht nachweisbare Tätigkeit war, jeden Aspekt seines Sports durchdrang. Aber auch Hörmann, der frühere DSV-Präsident. Von außen kann man nur sagen, dass es nicht überraschen würde, wenn die auffälligen Werte auch Deutschen zuzuordnen wären. 2001 begann das DSV-Hoch, Sommerfeldt gewann damals WM-Silber im Windschatten des Allgäu-Spaniers Johann Mühlegg. Der Test auf das Blutdopingmittel Epo war noch jung. Dass sechs finnische Langläufer es verwendeten, fiel wegen Positivtests auf das Maskierungsmittel HES auf. Aber Bengt Saltin, damals Medizin-Chef des Weltskiverbandes Fis, sah in den Blutprofilen vieler Athleten längst, dass sie manipulierten. Etwa bei Mühlegg, der 2002 aufflog.

Im Rückblick sieht man verdächtige Leistungseinbrüche

Das DSV-Hoch nahm Fahrt auf. Aber bei Olympia 2006 bekam Evi Sachenbacher-Stehle eine Schutzsperre wegen eines zu hohen Hämoglobin-Werts. DSV-Teamarzt Ernst Jakob, ein Radsport-Erfahrener aus der Freiburger Schule, stritt mit Saltin über dessen Bluttest-Programm. Im Rückblick auf die tollen deutschen Langläufer sieht man verdächtige Leistungseinbrüche, seltsame Karriere-Verläufe, versandete Gerüchte.

Stimmt, schade, dass die Enthüllung keine Namen bringt. Andererseits könnten die Betroffenen sich vom Verdacht befreien. Sie müssten im Grunde nur ihre Blutwerte im Karriereverlauf zeigen. Wer keine markanten Schwankungen aufweist, hat gute Argumente. Tobias Angerer könnte das helfen. Zumindest hat Bengt Saltin über den zweimaligen Weltcup-Gesamtsieger mal gesagt: "Er ist so normal, wie man nur sein kann."

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