Kommentar:Seltsame Regie

Vom Europa-League-Starter zum Tabellenletzten: Der Absturz von Hannover 96 ist das Ergebnis einer ungewöhnlichen Vereinsführung.

Von Philipp Selldorf

Die Zuschauer in Hannover schienen sich am Mittwochabend nicht ganz einig zu sein, wen sie in Anbetracht der fortgeschrittenen Krise ihrer 96er lieber loswerden wollten. "Kind-muss-weg"-Rufe konkurrierten mit "Frontzeck-raus"-Gebrüll. Die einen wünschen also, dass der langjährige Klubchef Martin Kind zügig das Weite sucht; die anderen verlangen, dass Michael Frontzeck einem anderen Trainer Platz macht. Nicht gerufen haben die Leute hingegen "Dufner go home" oder "Dufner verdufte". Denn Dirk Dufner ist ja schon längst nicht mehr Manager, Anfang August war er zurückgetreten.

Gekündigt hatte ihm der Verein - also Kind - aber schon irgendwann im vorigen Frühjahr. Dies war zumindest der Eindruck, den die Beteiligten damals in aller Welt erzeugten. Während Dufner ungezwungen wissen ließ, dass er seine Tage in Hannover für gezählt hielt, suchte der Verein - also Kind - quasi öffentlich einen neuen Manager. Aber Andreas Rettig ging dann lieber zum FC St. Pauli als nach Hannover. Und so entschied der Verein, also Kind: Dann macht halt Dufner den Job weiter, den er bald quittieren muss. Selbst nach dem amtlich verkündeten Rücktritt Anfang August hat Dufner bis zum Ende der Transferperiode seinen Dienst geleistet.

Die Krise von Hannover 96 ist die Krise eines seltsam geführten Vereins. Dass man einem Manager die Personalplanung und das Transfergeschäft anvertraut, obwohl dieser Manager nicht bleiben soll, weil man von dessen Transferpolitik nicht überzeugt ist - das ist, gelinde gesagt, ungewöhnlich. Das Ergebnis dieses Handelns ist jetzt auf dem Platz zu besichtigen: Dufner hat - sicher nicht alleinverantwortlich, aber doch als ausführendes Organ - dem Kader ein gutes Dutzend Neulinge zugefügt, die bisher nicht zu erkennen geben, dass sie das Team verstärken könnten. Martin Kind, also der Verein, erklärte nach dem 1:3 gegen Stuttgart auf seine warmherzige Art: "Die Leistungsstruktur ist nicht ausreichend." Dass Kind den Vertrag mit Frontzeck, der sich zum Saisonende als Retter vor dem Abstieg verdient gemacht hatte, erst nach Sondierungen auf dem Trainermarkt verlängerte, passt ins eigenartige Bild. Nun sprach Kind dem Coach zwar das Vertrauen aus, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich zumindest ein Rauswurfwunsch des Hannoveraner Publikums bald erfüllen könnte.

Anfang 2013 stand Hannover noch in der K.-o.-Runde der Europa League. Jetzt ist der Klub Letzter in der Liga und hat bloß einen Punkt, während die mutmaßlichen Abstiegskandidaten Darmstadt und Ingolstadt neun bzw. zehn Punkte aufweisen. Es fällt übrigens auf, dass die beiden Aufsteiger über ein ausgezeichnetes Management verfügen.

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