Kommentar:Schiedsrichter! Telefon!

Weil der Videobeweis erst ab dem Viertelfinale zum Einsatz kommt, trifft Felix Zwayer im Leipziger Pokal-Hit einige falsche Entscheidungen.

Von Klaus Hoeltzenbein

Sie sind seit jeher die Prügelknaben der Nation, von der Kreisliga bis zur Bundesliga. Doch niemand wird gezwungen, die Leute nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Unten, in der Kreisliga, handelt es sich um einen sozialen Dienst an der Gemeinschaft. Oben, in der Bundesliga, wird es längst sehr ordentlich honoriert, sich beleidigen zu lassen. Felix Zwayer erhält in dieser Saison ein Grundgehalt von 79 000 Euro, hinzu kommen 5000 Euro für jeden Einsatz - da sammelt sich über die Saison was zusammen. Weit mehr als nur ein spätes Schmerzensgeld dafür, dass man sich auf der langen Tour durch das Auf-und-Abstiegs-System der Schiedsrichter-Kaste einiges hat anhören müssen. Dort, wo die Kernsätze aus der Aschenplatz-Kultur zum Alltag gehören: "Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht!", oder, der Klassiker: "Schiedsrichter, Telefon!"

Im Lärm der Stadien werden solche Sätze übertönt. Entkommen aber kann man ihnen augenscheinlich nie. Stand doch plötzlich in Leipzig dieser aufgebrachte Mann neben Zwayer: Schiedsrichter! Telefon! Ralf Rangnick fuchtelte mit dem Handy herum, das manche auch ein Schlautelefon nennen. Rangnick wollte ja auch schlaumeiern, wollte etwas beweisen, der Inspirator von RB Leipzig setzte seinen privaten Videobeweis in Gang. Dass er dort, wo er Zwayer mit seinem Telefon-Video bedrängte, nichts zu suchen hat, sei einmal außen vor gelassen. Rangnick handelte nicht nur in einer emotionalen, sondern auch in einer technischen Notlage: Während der Videobeweis seit Saisonstart in der Bundesliga für hitzige Debatten, aber auch für mehr Gerechtigkeit sorgt, ist er im DFB-Pokal im Moment noch nicht erlaubt. Erst ab dem Viertelfinale im Februar ist die Nutzung vorgeschrieben.

Die Schiedsrichter selbst waren es, die den Videobeweis gefordert hatten. Schon deshalb, um nicht mehr die einzig Dummen im Stadion zu sein. Die, die nicht sehen dürfen, was alle anderen live und in Farbe auf ihren Handys verfolgen können. Wie in jener 34. Minute des Pokal-Krimis, als Zwayer zum weit entfernt stehenden Linienrichter eilte, der ihm fälschlicherweise riet, seinen Elfmeterpfiff zurück zu nehmen. Münchens Vidal hatte an Leipzigs Forsberg ein Kaugummi-Foul begangen: Es startete vor dem Strafraum und endete mittendrin. Erst als sich Forsberg partout nicht fallen lassen wollte, finalisierte Vidal mit scharfer Grätsche. Aus sportfachlicher Sicht ein Elfmeter. Aus bayern-gefärbter Sicht diskutabel, da das Kaugummi-Foul vor der Strafraumlinie ansetzte.

Zählt der Anfang? Zählt das Ende? Oder der härteste Akt eines Mehr-Phasen-Fouls? Der Videobeweis sorgt nicht für Unfehlbarkeit, aber er hätte Zwayer in seinem ersten Urteil (Elfmeter!) bestärkt.

Auch in weiteren strittigen Szenen war dieser Pokal-Hit ein Plädoyer für die Sehhilfe. Dafür, dass sich in der Liga am Zwayer-Ohr bald wieder via Headset der Richtige meldet: Der Kollege vor dem Bildschirm aus der Einsatzzentrale in Köln, und nicht einer wie Rangnick. Dem hätte eine Video-Instanz die Peinlichkeit erspart, als Handy-Man einen Akt der Selbstjustiz starten zu wollen.

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