Frankreichs Fußballer:Plötzlich sympathischer als eine Mottenplage

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Wieder respektiert: Die französischen Fußballer André-Pierre Gignac, Anthony Martial und Antoine Griezmann (von links). (Foto: AFP)

Trotz der Finalniederlage gegen Portugal feiern die Franzosen ihre Mannschaft. Das ist insofern bemerkenswert, weil das Team vor Kurzem noch für ausschweifende Macho-Exzesse stand.

Kommentar von Claudio Catuogno

Am Mittag vor dem EM-Finale zwischen Frankreich und Portugal machte ein Autofahrer auf einer bretonischen Landstraße eine erstaunliche Entdeckung. Er überholte einen oben offenen Doppeldecker-Bus, hinten drauf stand "Merci" und auf den Seiten in großen Buchstaben: "Champions d'Europe". Europameister. Der Autofahrer filmte den Bus, verbreitete die Sequenz über Twitter, und schrieb dazu: "Ich bin in die Zukunft hineingeraten."

Auch die spontanste Sieger-Party will akribisch geplant sein. Aber dann fiel die Zukunft leider aus für die Franzosen: keine Tour im offenen Bus durch Paris, stattdessen die große Enttäuschung. "Champions d'Europe" sind die Portugiesen.

Allerdings erzählt die Geschichte mit dem Bus, der dann in der Garage bleiben musste, nicht nur etwas über den schmalen Grat zwischen Hybris und Professionalität. Sie erzählt auch etwas über die Entwicklung einer Mannschaft, die, wäre sie vor ein paar Jahren im offenen Bus irgendwo vorgefahren, allenfalls mit Pfiffen bedacht worden wäre, vielleicht auch mit rohen Eiern beworfen.

Der Nationaltrainer Didier Deschamps hat nach der Endspiel-Niederlage angemerkt, "das Wichtigste" habe leider gefehlt. Er meinte: ein Tor. Deschamps war zu diesem Zeitpunkt noch sehr in den Details des Spiels verhaftet. Am Tag danach waren sich die französischen Zeitungen weitgehend einig, dass das Wichtigste eben nicht gefehlt hatte: Les Bleus haben Frankreich würdig vertreten bei ihrer EM. Sie haben Worte wie Bescheidenheit, Demut und Leistungsbereitschaft nicht nur als billige Marketinghülle verwendet, sondern tatsächlich verkörpert. Das ist schon eine Menge wert, wenn man bedenkt, wo diese Mannschaft herkommt. Wenn man die Franzosen nach der WM 2010 in Südafrika gefragt hätte, was ihnen sympathischer ist, Les Bleus oder zum Beispiel eine Mottenplage - viele hätten sich für die Mottenplage entschieden.

Nun gab es wenige Tage vor dem EM-Start eine repräsentative Umfrage, in der 50 Prozent der Franzosen angaben, ihre Nationalelf sympathisch zu finden. In Deutschland wäre so ein Wert die ideale Vorlage für eine Skandal-Schlagzeile: "Jeder Zweite mag Jogis Jungs nicht!!" In Frankreich feierte nicht nur die Zeitung L'Équipe diesen Wert als sensationellen Erfolg - vor allem für Deschamps.

Diesmal sind die Franzosen nur auf dem Spielfeld gescheitert

Zu gegenwärtig sind noch all die Bruchlinien und Macho-Exzesse der Vergangenheit, man muss nur den Begriff "Knysna" in den Raum werfen, dann weiß fast jeder Franzose, wovon die Rede ist. In ihrem Quartier in Knysna an der Garden Route hatten die WM-Spieler 2010 eine Revolte veranstaltet, die später sogar das Parlament beschäftigt hat.

Tore haben den Franzosen tatsächlich gefehlt im Finale gegen Portugal, Erfahrung wohl auch, Glück sowieso. Es hat nicht gereicht für den Titel. Aber diesmal sind die Franzosen nur auf dem Spielfeld gescheitert - und das ist wirklich ein großer Fortschritt.

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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