Kommentar:Rara rick, Zaubertrick

Der FC Bayern und Dortmund erzielen tolle Tore. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Saison spannender als befürchtet wird.

Von Klaus Hoeltzenbein

Manchmal, aber nur manchmal, ist es ein bisschen blöd, für ein klassisches Medium zu arbeiten, das (fälschlicherweise) von einigen für ein sterbendes gehalten wird. Denn eigentlich könnte man sich diese Zeilen sparen. Würde es sich um eine multimediales Medium handeln, könnte man an dieser Stelle einfach nur ein Video einklinken, und schon dürfte allen Betrachtern klar sein, warum die 54. Bundesliga-Saison - wider Erwarten - vielleicht endlich mal wieder eine spannende werden könnte. Wobei unter "Spannung" bereits verstanden werden darf, dass der FC Bayern einmal nicht mit einem zweistelligen Vorsprung ins Ziel kommt wie in den vergangenen vier Spielzeiten, in denen der Zweitplatzierte 25, 19, 10, 10 Punkte zurücklag.

Für dieses Video müsste man allerdings zwei Szenen gegeneinander schneiden. Jene vom dritten Tor der Dortmunder gegen Freiburg und jene vom 1:0 der Bayern in Hamburg. Aus dem Kontrast ergibt sich die obige Behauptung. Zwei späte Tore, der BVB traf am Freitag in der Nachspielzeit, der FCB am Samstag in der 88. Minute, was beiden Teams beste Konditions- und Konzentrationswerte bescheinigt. Damit ist aber fast Schluss mit den Gemeinsamkeiten - spiegeln die Tore doch den extrem unterschiedlichen Charakter des Ancelotti- und des Tuchel-Teams. Der FC Bayern von Ancelotti, 57, operiert mit der Qualität eines Chirurgen, der alles erlebt zu haben glaubt. Er lässt den Gegner toben, lauert, wartet, bis der Gegner Nerv und Ball verliert - Monsterpass Thiago, Präzisionsflanke Ribéry, Schnittstellen-Sprint Kimmich, drei Stationen, Tor, Abpfiff, Abfahrt.

Im Gegensatz zu dieser messerscharfen Präzision lässt sich das Wunderknäuel des Trainers Tuchel, 43, erst mithilfe einer mehrmaligen Superzeitlupe auflösen. Fürs menschliche Auge ging alles viel zu schnell: Einwurf Schmelzer auf Guerreiro, Pass auf Castro, Pass auf Weigl, Pass auf Aubameyang, Pass mit der Hacke zu Castro, Pass mit der Hacke zu Guerreiro, freie Bahn, und - rara rick, Zaubertrick - liegt der Ball im Eck. Eine Illusion, die ohne Mitwirkung des Nationalspieler-Trios Götze-Schürrle-Reus realisiert wurde, das im BVB-Drehbuch eigentlich für solche Augenblicke vorgesehen ist.

Rationalisten werden einwerfen, dass sich der fröhliche Junge-Hunde-Fußball der Borussia ganz gewiss erschöpfen wird, wenn im Frühjahr die großen Spiele kommen. Romantiker werden leidenschaftlich widersprechen. Denn sonst? Sonst wird es in der Bundesliga womöglich niemals wieder spannend. Oder erst dann, wenn diese Zeitung nicht mehr auf Papier erscheint, sondern als hand-gerollter Sensoren-Screen die tollsten Tore zeigt. Aber auch bis dahin wird es dauern.

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