Kommentar:17 plus eins

Die Geschichte von Hannover 96 lehrt vor allem eines: Die Liga muss keine Angst vor Investoren haben, solange diese die sportliche Expertise vergessen. Klubchef Kind darf den Klub zwar bald übernehmen - muss aber erst in die zweite Liga.

Von Christof Kneer

Wenn ein Verein kurz vor dem Abstieg steht, ertappt man sich manchmal bei dem Gedanken, wer jetzt weint. Zwar wäre es ungerecht, Tränen mit Tränen zu vergleichen, denn alle im Abstiegskampf vergossenen Tränen sind ehrenhaft und gleich viel wert, egal, ob sie in etwas kleineren Gefäßen in Paderborn und Fürth aufgefangen werden oder ob reißende Sturzbäche durch Traditionsstandorte wie Nürnberg, Köln oder Frankfurt fließen. Trotzdem kann man an der Prominenz der Tränen mitunter Größe und Gewicht eines Vereins bemessen. Wenn nun also, woran auch nach dem nächsten Trainerwechsel keiner mehr zweifelt, Hannover 96 gehen muss, dann wird man erst bei der Trauerfeier wieder merken, dass der Klub nicht so grau ist, wie er spielt. Die Tränen werden so bunt sein, dass Boulevardmagazine womöglich bereits Sondersendungen vorbereiten, um die Trauergemeinde angemessen abzubilden. Veronika Ferres, Oliver Pocher, Nicolas Kiefer, Klaus Meine von den Scorpions. Und Gerhard Schröder.

Der sog. Altkanzler hat kürzlich schon mal angekündigt, er werde 96 auch gegen Sandhausen unterstützen. Das ist einerseits ganz lieb von ihm, andererseits hat's der Mann natürlich auch leicht. Aus Kanzlertagen hat Schröder noch haufenweise andere Schals im Schrank herumliegen, er hat mit den Wählern der halben Bundesliga sympathisiert. Allerdings werden im Zuge des wohl unvermeidlichen Abstiegs nun auch wieder jene Stimmen laut werden, die Hannovers rührende Unterstützergemeinde in Beziehung setzen mit all den Problemen dieses stolzen Klubs.

Es ist ein alter Vorwurf, dass der auf seine Art ebenfalls rührende Klubchef Martin Kind den Verein nach seinem Bilde geformt hat. Als Präsident übernahm er 1997 einen drittklassigen Verein am Rand der Zahlungsunfähigkeit, er sanierte den Traditionsbetrieb und führte ihn zurück in die Gegenwart, und diese hohen Verdienste sind ebenso unbestritten wie die Existenz der sog. Hannover-Connection. Mit Hilfe einer loyalen Gruppe regionaler Unternehmer und Netzwerker prägt Kind seit Jahren die Klubpolitik, und zuletzt gelang es ihm sogar, eine eigens auf ihn zugeschnittene Ausnahme von der heiligen 50-plus-eins-Regel zu erwirken. Private Investoren dürfen nun mehr als 50 Prozent eines Klubs übernehmen dürfen, sofern sie den Klub 20 Jahre lang gefördert haben - was für Kind ab 2017/18 gilt.

Aus all dem ist einstweilen aber nur der Tabellenplatz 17 plus eins geworden, und so lehrt Hannovers Abstieg vor allem dies: Die Liga muss keine Angst vor Investoren haben, solange diese die sportliche Expertise vergessen. Kind hat es etwa auf imposante Weise verstanden, Trainer/Manager-Duos zu kombinieren, die sich nicht verstehen, wie einst bei Mirko Slomka und Jörg Schmadtke, aus deren Reibung immerhin ein paar listige Personalien sowie ein ansehnlicher Konterfußball entstand. Aus der Reibung mit dem Ex-Manager Dirk Dufner entstand dagegen nur noch der Abstieg: Auf die Idee, einen Manager, den man ablösen möchte, noch die Kaderplanung machen zu lassen, muss man erst mal kommen.

Was nun? Vielleicht kommt der Trost ja bald aus der eigenen Familie. Klaus Meine von den Scorpions kann den Fußballern jedenfalls viel erzählen über Abschiedstourneen, die von umjubelten Comebacks kaum zu unterscheiden sind.

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