Kommentar:Platz 26 ist nicht bayernlike

Zwischen Fangesängen für "rotweiße Trikots" und Balkendiagrammen, mit denen der Vorstand nach höherer TV-Einnahmen ruft: Die Mitgliederversammlung des FC Bayern illustriert das Dilemma des Meisters.

Von Claudio Catuogno

Wenn man eine Halle voller Bayernfans zum Singen bringen will, ist ein Fachvortrag zum Thema "Zentralvermarktung" möglicherweise das falsche Thema. Damit sie singen, muss man Fußballfans bei den Emotionen packen. So wie es am Freitagabend zum Beispiel jenem Vereinsmitglied gelang, das als Stichwort für seinen Wortbeitrag auf der Mitgliederversammlung des FC Bayern das Thema "Rot-weiße Trikots" angegeben hatte.

Noch bevor er ans Rednerpult geschritten war und das erste Wort gesagt hatte, skandierte die Fan-Schar bereits aus voller Kehle: "Rot-weiße Trikots! Rot-Weiße Trikots."

"Das nächste Bayern-Trikot wird wieder rot-weiß sein"

Fan sein heißt unter anderem, sich in die Farben seines Klubs zu kleiden, und wenn so ein Bayern-Trikot dann plötzlich schwarz-rosa ist, trifft das die Fan-Seele natürlich im Kern. Man werde dieses Thema sehr ernst nehmen, versprach also Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern: "Das nächste Bayern-Trikot wird wieder rot-weiß sein." Ein Versprechen, an dem ihn viele messen werden, wenn man sich im nächsten Jahr wieder sieht.

Aber die bisweilen seltsam-nostalgische Fan-Seele ist halt nur die eine Seite des Vorstandsgeschäfts, und man tritt Karl-Heinz Rummenigge nicht zu nahe mit der Vermutung, dass ihm die andere noch ein bisschen mehr am Herzen liegt: die mit den schwarzen Zahlen auf dem weißen Papier. Und deshalb wird er selbst sich und sein Wirken in den kommenden Monaten eher an einem anderen Versprechen messen - an einem Versprechen, das am Freitagabend wie eine Drohung klang. Womit man wieder beim Thema "Zentralvermarktung" angelangt wäre, das derzeit Wellen schlägt im deutschen Profifußball.

"Ich gehe jetzt extra etwas näher ans Mikrofon, damit man mich in Frankfurt bei der DFL auch versteht" - so begann Rummenigge die zentrale Passage seines Jahresberichts. Dann sprach er über Solidarität. Um nichts anderes geht es ja bei jenem Ligafinanzausgleich, der den Erst- und Zweitligisten entsprechend ihres Tabellenplatzes die Gelder aus der gemeinsamen Vermarktung der Fernsehrechte zukommen lässt, den Bayern als Meister derzeit etwas mehr als 50 Millionen Euro im Jahr. Es geht um Solidarität. Dürften die Münchner ihre Ligaspiele selbst an die Sender verkaufen, könnten sie ein Vielfaches einnehmen.

Solidarität? Nur unter einer Conditio

Wie also halten es die Bayern mit der Solidarität? Keine ganz unwichtige Frage für die anderen 35 Klubs, die ja schon heute, im bestehenden Solidarsystem, de facto abgehängt sind vom Branchenprimus aus München, die weder mit mutigem Dagegenhalten eine Chance haben, noch mit destruktivem Nicht-Fußball wie die Hertha am Samstag. "Die Solidarität mit der Bundesliga möchten wir nicht aufgeben", sagte also der Bayern-Boss - "aber ich sage auch ganz klar: nur unter einer Conditio. Dass die DFL dafür Sorge trägt, dass die deutschen Topklubs international wettbewerbsfähig bleiben werden und vor allem bleiben können."

Wie viele der Rot-weiße-Trikots-Folkloristen jetzt was mit dem Fachterminus "Conditio" anfangen konnten, ist unerheblich. Diese Botschaft respektive Drohung war sowieso nicht für sie gedacht. Sondern eben für die Vermarktungsexperten beim Ligaverband DFL in Frankfurt, die gerade die Ausschreibung der TV-Rechtepakete für die kommenden Jahre vorbereiten. Sie haben Karl-Heinz Rummenigge sicher verstanden.

Die Solidarität in der Liga wird gerade von verschiedenen Seiten in die Zange genommen. Der jüngste Antrag des ehemaligen DFL- und heutigen St.-Pauli-Managers Andreas Rettig, der Werks- oder Mäzen-Klubs wie Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim kein Geld mehr abgeben will, ist da nur ein (ziemlich durchsichtiger) Mosaikstein von vielen. "Schweinchen-Schlau-Anträge helfen uns nicht weiter", sagte dazu Rummenigge - Schweinchen-Schlau-Anträge haben nämlich lediglich die Umverteilung zum Inhalt: Man nehme Werksklub X etwas weg und gebe es dafür Kiez- oder Traditionsklub Y. "Ein bisschen Schweinchen Schlau" - so hatte Leverkusens Manager Rudi Völler den Kollegen Rettig wegen dieses ohnehin chancenlosen Ansinnens genannt.

Mehr Geld für alle!

Rummenigges Thema ist erst einmal nicht die Umverteilung. Sondern die Frage, wie man deutlich mehr Geld in den Solidartopf bekommt. Zunächst einmal führt er seinen Kampf, anders als Rettig, also für alle anderen mit. Mehr Geld hieße ja: mehr Geld für alle.

Für wie notwendig der Bayern-Boss dieses Unterfangen hält, das machte er den Mitgliedern mithilfe von Balkendiagrammen deutlich. Balkendiagramme - auch nicht gerade ein Auslöser von Jubel und Gesang. Vielmehr wurde es in der Halle sehr, sehr still, als auf der Leinwand ersichtlich wurde, wie viel mehr Fernsehgeld sogar der Tabellenletzte der englischen Premier League bekommt im Vergleich zum FC Bayern. Schon heute. Und wenn zur kommenden Saison der neue englische Fernsehvertrag in Kraft tritt, wird der Abstand noch absurder. Dann liegt der FC Bayern in der europaweiten Rangliste bei den TV-Einnahmen nur noch auf Platz 26.

Platz 26? Das passt natürlich so gar nicht zum Selbstverständnis. Platz 26 ist, um eine Rummenigge-Lieblingsformulierung zu bemühen: nicht "bayernlike". Platz 26 ist in der Münchner Mia-san-mir-Welt um ziemlich genau 25 Plätze zu weit hinten.

Rummenigge will den Wettbewerb der Pay-TV-Sender

Und deshalb will Rummenigge, dass die DFL die Rechte auf jeden Fall so ausschreibt, dass ein Wettbewerb entsteht - anstatt dass sich wieder nur Sky um die Live-Spiele der Liga bemüht. Wettbewerb, das hat sich in England gezeigt, treibt die Preise nach oben, bestenfalls in absurde Bereiche.

Und dass Rummenigge das nicht nur lautstark anmahnt, sondern parallel auch an einem Drohszenario bastelt, berichtete die SZ in der vergangenen Woche: Beim Bundeskartellamt hatte der Bayern-Boss bereits einen Gesprächstermin, um über mögliche Änderungen bei der Zentralvermarktung zu sprechen. Für den Fall, dass die DFL seine Conditio nicht berücksichtigt, ist Rummenigge das Thema Solidarität mit St. Pauli oder Darmstadt dann nämlich doch nicht so wichtig wie die Konkurrenzfähigkeit seiner Bayern im Vergleich zum FC Chelsea, Manchester City oder Real Madrid. Dann gewinnt man halt in Zukunft im Zweifel 6:0 gegen Hertha und 12:1 gegen den HSV - Hauptsache, man kann international weiter mithalten; auch beim Verpflichten der immer teurer werdenden Stars.

Und die Fans? Wollen günstigere Abos

Und die Fans? Tja. Mögen natürlich Siege und Stars. Dass das Thema trotzdem nicht gerade ihre Herzensangelegenheit ist, hat am Freitagabend aber ein weiterer Wortbeitrag deutlich gemacht. Wie man die Kosten für ein Sky-Abo reduzieren könnte, das war das Thema dieses Bayern-Mitglieds, der beim Tagesordnungspunkt "Verschiedenes" ans Mikrofon trat.

Und so beißt sich die Maus in den Schwanz. Denn wer wird es am Ende zahlen müssen, wenn die Sender signifikant mehr für ihre TV-Rechte ausgeben müssen? Eben. Wer in England alle Spiele der Premier League live sehen will, zahlt ein Vielfaches des deutschen Pay-TV-Kunden, umgerechnet etwa 90 Euro im Monat.

Man ahnt: Die Wortmeldungen werden in Zukunft nicht weniger werden auf der Mitgliederversammlung des FC Bayern. Dass die rot-weiße Fan-Schar irgendwann mal "Teureres Abo! Teureres Abo!" jubeln wird, ist ausgeschlossenen.

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