Kommentar:Mehr Vorbild als Star

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Echte Champions durchleiden Zweifelphasen und sind nie mit sich zufrieden. Angelique Kerber, die sich nie in den Vordergrund drängt, zählt zu dieser Kategorie.

Es gibt eine deutsche Tennisspielerin, die hat in dieser Saison schon 14 Mal ihr erstes Match bei Turnieren verloren. Wenn sie abgereist ist, dauert es meist nicht lange und diese Spielerin veröffentlicht in den Sozialen Medien Bilder von sich. In schönen Kleidchen. Oder schwitzend beim Training. Versehen mit Botschaften, wie: Sie arbeite noch mehr. Sie trainiere noch mehr. Sie komme stärker zurück.

Diese Spielerin ist nicht Angelique Kerber.

Kerber lässt lieber Taten sprechen. Sie macht keine großen Versprechungen. Sie will am liebsten nichts verkünden, von dem sie nicht weiß, ob sie es erreichen kann. In Wimbledon hatte sie versichert, sie sei ja gar keine Favoritin, es gebe noch viele andere, die das Turnier gewinnen könnten. Es klang wie: ein Satz vor der Veranstaltung. Oder nach der zweiten oder dritten Runde. Sie hatte diesen Satz aber vor dem Halbfinale gesagt. Da gab es nur noch drei andere im Wettbewerb. Sie hat sich fast klein gemacht. So ist Kerber.

Kerber kann längst als deutscher Weltstar gelten, sie gibt sich aber nicht so. Sie hat keine Allüren, sie verprasst nicht ihre vielen Millionen. Sie ist, tatsächlich, inzwischen zu einer der reichsten Sportlerinnen der Welt geworden. Kerber ist manchmal etwas launisch, sie kann auch herrlich genervt schauen, wenn sie Fragen gestellt bekommt, die sie nicht mag. Oder wenn sie zu viele Bälle auf dem Platz verschlägt. "Ich war schon immer etwas stur", gab sie kürzlich zu, "und ich bin ehrgeizig." Als Kind, als sie noch mit der Familie oberhalb einer Tennishalle in Kiel wohnte, konnte sie schlecht verlieren.

Es gab und gibt einige deutsche Tennisspielerinnen, die dort stehen könnten, wo Kerber angelangt ist, im Kreis der Champions. Aber sie schafften es nicht, weil eine Sache Champions auffallend häufig unterscheidet von den sehr guten Sportlern: Sie sind oft unzufrieden. Sie haben Selbstzweifel. Sie fühlen sich nicht immer sicher, ob sie so gut sind wie beim letzten Mal. Der Spanier Rafael Nadal referierte einmal eindrucksvoll über diese vermeintliche Schwäche, die eigentlich ein Antrieb ist, sein Motor, seine Stärke. Novak Djokovic war in Wimbledon deshalb so emotional, nicht nur, weil er Nadal bezwang und ins Finale einzog. Er wusste diesen Erfolg einzuordnen und dachte sofort an die Tage, als er im Hintergrund mit sich haderte und eineinhalb Jahre Motivation und Orientierung suchte. Champions lassen sich nicht sagen, sie müssten etwas besser machen. Sie selbst wollen es besser machen. Roger Federer, so war zu hören, war richtig stinkig, dass er in Wimbledon verlor. Öffentlich hat er sein Aus im Viertelfinale eloquent und geschmeidig hingenommen. Aber wäre er nicht stinkig nach Niederlagen - er wäre kein Champion geworden.

Kerber ist - und das wird sicherlich trotz dieses strahlenden, funkelnden, historischen Triumphes in Wimbledon so bleiben - kein Star, der Glamour ausstrahlt. Sie ist keine, die tief gehende Botschaften verbreiten will und eine andere Ebene in ihrem Schaffen sieht. Sie wird auch weiterhin den Boulevard nicht bereitwillig bedienen wollen und erleichtert sein, wenn manche Pressekonferenzen während eines Turniers vorbei sind. Kerber ist eine Leistungssportlerin, die demonstriert, auf welche Werte es ankommt, wenn man sich absetzen will von der sehr guten Konkurrenz: Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit, Verzicht.

Kerber ist ein Vorbild, und das ist eigentlich eine viel bessere, wertvollere Errungenschaft, als ein Star zu sein. Dafür gilt es, Kerber zu würdigen. Sie ist nicht die neue Steffi Graf, sie wird auch in Zukunft oft noch auf dem Platz knöttern, wenn es nicht läuft. Sie wird wieder verlieren. Aber am Ende gewinnt sie eben doch sehr oft. Und darauf kommt es in ihrer Welt an, an der die deutsche Sportwelt nun begeistert Anteil nimmt. Sie darf und sollte diesen Moment genießen.

Aber man kann sicher sein: Bald steht Kerber wieder auf dem Trainingsplatz und übt - ohne große Versprechungen.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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