Kommentar:Macht mal rüber!

Hertha BSC will raus aus dem Olympiastadion und stellt dazu ein kurioses Projekt vor: Gleich nebendran soll eine neue Arena gebaut werden - spielen wollen die Berliner dann in beiden Stadien. Die Umzugsexperten der Hauptstadt stellen sich große Aufgaben.

Von Klaus Hoeltzenbein

Zweifellos, sie sind die Umzugsexperten der Nation. Die Einzigen, die sich an ein neues Großprojekt heranwagen könnten, obwohl das alte noch nicht fertig ist. Sie haben ihre Kompetenz bewiesen, als sie eine komplette Hauptstadt über Nacht von Bonn nach Berlin verfrachteten, und die Sache mit dem Flughafen, die kriegen sie natürlich auch noch hin. Wobei die Umzugswagen ja bereit standen im Frühjahr 2012, nur halt der Flughafen noch nicht. Eine heikle Historie ist das, die es zu berücksichtigen gilt, während Berlin einen Transfer diskutiert, den die (Fußball-)Welt noch nicht gesehen hat. Denn jetzt will auch Hertha BSC umziehen, und das Besondere daran ist: nicht nur einmal, sondern ständig. Samstag auf Samstag, Spieltag auf Spieltag, auf immer und ewig.

Dass die Hertha ein neues Stadion will, ist längst bekannt. Es ist auch verständlich, denn im Moment fühlt sie sich im Olympiastadion wie die Ziehtochter, die gegen einen Mietzins zwar das Wohnrecht geerbt hat, weshalb von ihr tiefe Dankbarkeit erwartet wird. Die jedoch immer mehr die Angst plagt, dort die eigene Zukunft zu verlieren. Weil es nicht nur im Winter durch alle Fugen zieht. Weil sie wegen Denkmalschutz nicht renovieren darf. Und weil sie dort viel weniger Besuch bekommt als erträumt. Obwohl sie sich doch so sehr anstrengt und im Dezember 2016 erneut auf Platz drei der Tabelle in die Winterpause ging.

In einer solchen Situation wuchern schräge Gedanken. Hertha, so heißt es, sei nun gar bereit, nicht mehr mit einem, sondern künftig mit zwei Stadien zu planen. Ab 2025; so lange würde es dauern, bis direkt neben dem alten Stadion ein modernes, eigen-finanziertes Hertha-Stadion ohne Laufbahn entstehen könnte. Die bestehenden Verkehrswege könnten genutzt werden, trotzdem zieht der Berliner Senat nicht recht mit. Weshalb Hertha diesen Kompromiss präsentiert: Topspiele, für die mehr als 55 000 Zuschauer erwartet werden, wie gegen die Bayern oder gegen Dortmund, könnten ja weiterhin nebendran im Olympiastadion (74 475) ausgetragen werden.

Vorstellen kann man sich die Umsetzung des Doppelstadion-Projekts noch nicht so recht, aber es wirft tausend interessante Fragen auf, die die Hauptstadt-Logistiker unter Stress halten werden. Was passiert, wenn Hertha mal in der Champions League dabei sein sollte? Eine Halbzeit hier, alle rüber, eine Halbzeit dort? Raus aus dem Fünf-Sterne-Tempel, zurück in die alte, kalte Hütte? Und wie löst man das Problem mit teuren Logen, dem Kern jeder Stadion-Finanzierung? Nimmt der Kunde sein "Wohnzimmer im Stadion", wie es beim 1. FC Nürnberg heißt, sein "Separee", wie es der FC St. Pauli nennt, einfach mit? Fährt Spieltag für Spieltag der Umzugswagen vor und schafft den Krempel rüber?

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