Kommentar:Knapp vorn

Jahrelang hatten Federer, Nadal und Djokovic dominiert. Dass der neue Weltranglistenerste Andy Murray sich nun einmischt, kann dem Tennis nur guttun.

Von Philipp Schneider

Die Geschichte vom Aufstieg des Andy Murray lässt sich nicht erzählen ohne den Abstieg des Novak Djokovic. Der Serbe ist es auch, der nun am besten einordnen kann, was die Weltranglistenführung eigentlich bedeutet, die ihm der Schotte an diesem Montag offiziell entreißt. Vor ziemlich genau 24 Monaten hob Djokovic in London einen großen silbernen Pokal in die Luft, die Trophäe war nur eine von vielen, 2014 war ein gutes Jahr für Djokovic. Unter anderem hatte er zum zweiten Mal das Turnier von Wimbledon gewonnen, ganz besonders aber freute ihn in diesem Moment etwas anderes: Er hatte die Weltranglistenführung zurückerobert, nachdem er sie vorübergehend an den Spanier Rafael Nadal verloren hatte. Die Nummer eins zu sein am Ende eines Kalenderjahres, sagte Djokovic, sei "the pinnacle of our sport" - der Gipfel, die Spitze dessen, was ein Tennisspieler erreichen könne. Er wird dorthin wieder zurückkehren wollen.

Murray fühlt sich neuerdings für ein ganzes Jahr motiviert

Die Nummer 1 der Weltrangliste ist kein Titel, sie ist eine Momentaufnahme, die auf einer Langzeitstudie basiert, die mit komplizierten mathematischen Methoden der Frage nachgeht: Wer ist der Beste der Welt? Nun, um dauerhaft der Beste zu sein, muss einer dauerhaft der Beste sein. Nach 122 Wochen in Serie räumt Djokovic die Kuppe, oben steht nun Murray, als 26. Spieler seit Einführung der Rangliste 1973. Mit 29 Jahren ist er der zweitälteste Debütant nach John Newcombe. Murray residiert verdient an der Spitze, weil niemand in diesem Jahr erfolgreicher war. Weil er konstant gut spielte und nicht nur bei den großen Turnieren wie Wimbledon, wo er seinen dritten Major-Titel gewann, weil er sich neuerdings "für das ganze Jahr motiviert fühlt, für alle Events", wie er sagt.

"Wir haben einen neuen König, Gratulation Sir", twitterte Roger Federer, dessen Lob aus Murrays Sicht im Stellenwert gleich nach demjenigen der Queen kommen dürfte. 237 Wochen in Serie war der Schweizer ja selbst König, damit hat er einen der wenigen Rekorde im globalen Sportgeschäft aufgestellt, die tatsächlich für die Ewigkeit sein könnten. Murray hingegen könnte sehr schnell wieder die Führung verlieren.

Nur 16 Spieler in der Geschichte standen auch am Jahresende ganz vorne, Boris Becker etwa gelang das nie. Dass Murray mit seinem Sieg beim Masters in Paris Djokovic auf 405 Punkte in der Weltrangliste distanzieren konnte, liegt an einer Besonderheit des Jahresabschlussturniers in London, das noch gespielt wird: Anders als in anderen Wettkämpfen werden die Punkte von den World Tour Finals des Vorjahres bereits vor Beginn abgezogen, nicht danach. Djokovic hat so mehr Zähler verloren, weil er das Finale 2015 gewann, Murray dagegen schied in der Gruppenphase aus. Ende November, wenn sich die Tour im Winterschlaf befindet, wird der Brite 275 Punkte abgeben - jene, die er sich 2015 mit einem Sieg im Davis-Cup erspielte.

Nach Jahren der Dominanz von Federer, Nadal und Djokovic sorgt nun Murray vor dem Silvesterabend für einen spannenden Kampf um die Krone. Dem Sport kann das nur guttun.

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