Kommentar:Jeder Tag ein Samstag

Wintersport im TV erfreut sich höchster Beliebtheit. In den nächsten Wochen ist jeder Tag ein Samstag. Die Ski-WM läuft schon, die Biathlon-WM folgt, es mischt sich Bob dazu, dann die Weltspiele der nordisch Veranlagten. Das wunderliche Motto: Je wärmer, umso Ski.

Von Ralf Wiegand

Herrlich ist das, wenn die Tage wieder heller werden, die Luft milder, wenn der Frühling, wie es früher so schön hieß, seine Vorboten schickt, gewitzte Schneeglöckchen, die sich am freigeschmolzenen Silvesterraketenmüll vorbei nach oben schieben. Was gibt es an solchen Tagen Schöneres, als die Rollläden runterzulassen, den Fernseher anzumachen und von früh bis spät so zu tun, als wäre Winter?

Der deutsche Samstag in den dunklen Monaten sieht seit Jahr und Tag genau so aus: Eine Nation verbarrikadiert sich in den wenigen Stunden mit Tageslicht im abgedunkelten Wohnzimmer und schaut Wintersport. Zehn, zwölf Millionen kommen da zusammen bei den stundenlangen Übertragungen, die zum Frühstück beginnen und beim Abendbrot noch nicht zu Ende sein müssen, und sonntags dann dasselbe. Ein normaler Winter-Wochenendtag beinhaltet durchschnittlich zwei Biathlon-Rennen (Männer/Frauen), zwei Langläufe, eine komplette nordische Kombination und mindestens ein Skispringen. Möglicher Leerlauf ist leicht zu füllen mit Aufzeichnungen vom Bobfahrern, Rodeln und, etwas exotischer, Skeleton. Neuerdings schalten ARD und ZDF auch bei der Halfpipe nicht ab und kaufen Bilder ein von wilden Kufen-Jagden durch künstlich vereiste Innenstädte, mit denen Brausekonzerne ihre wilde Coolheit feiern. Es ist, wie früher Sommersamstage waren, mit Autowaschen und Fußballhören, nur ohne Autos, Fußball und Sommer.

Für all die eskapistischen Wintersportfreunde, die sich aus der sehr komplizierten Welt da draußen in die sehr einfachen Regeln des Wintersports flüchten, wo immer einer als Erster irgendwo ankommt, wenn er nicht - Ooooh, Auaaa! - stürzt, gibt es eine gute Nachricht. In den nächsten Wochen ist jeder Tag ein Samstag. Die Ski-WM läuft schon, die Biathlon-WM folgt, es mischt sich Bob dazu, dann die Weltspiele der nordisch Veranlagten. Das wunderliche Motto: Je wärmer, umso Ski.

Und das ist natürlich gut so, denn nur weil es vielen gefällt, muss es ja nicht schlecht sein. Nationalismus, für den man im restlichen Leben immer ein bisschen schräg angeguckt wird - in der wunderbaren Welt des Wintersports ist er seit jeher Teil des Spiels. Hier werden keine globalisierten Teams gebastelt, hier gilt noch: Ein Italiener ist ein Italiener ist ein Italiener. Gut, manchmal ist ein Schweizer auch Liechtensteiner, aber das sind kleine verbandstektonische Verschiebungen im Alpenraum, die wurscht sind, weil meistens eh die Deutschen gewinnen. Herrlich, dieser Winter. Frühling kann's dann später werden.

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