Kommentar:Im Zweifel unschuldig

Kenias Sportminister löst wegen Korruptionsverdachts und nach diversen Pleiten und Pannen das Nationale Olympische Komitee auf. Das IOC erinnert die Politik an die Unschuldsvermutung - doch die gilt in der olympischen Familie längst nicht für jeden.

Von Johannes Knuth

Das berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis Bangu hat Pat Hickey jetzt immerhin hinter sich. Aus dem haben sie ihn am Montag herausgeschafft. Ein brasilianisches Gericht begründete den Schritt mit dem "kritischen Gesundheitszustand" des 71-jährigen Iren, IOC-Mitglied, Boss des irischen Olympischen Komitees (OCI), feuriger Unterstützer des deutschen IOC-Chefs Thomas Bach. Die brasilianischen Behörden verdächtigen Hickey allerdings weiterhin, illegalen Tickethandel für die Rio-Spiele betrieben und eine kriminelle Vereinigung gebildet, womöglich angeführt zu haben. Rund 1000 Karten aus dem irischen Kontingent soll er nebst anderen Billetts zu überteuerten Preisen weiterverschachert haben. Hickey darf das Land nicht verlassen, er musste seinen Reisepass abgeben. Seine Ämter lässt er ebenfalls ruhen, fürs Erste.

Kenia gewann 13 Medaillen, mehr als jedes andere afrikanische Land

Das trifft sich ein wenig ungünstig für den irischen Multifunktionär, der in diesen Tagen allerlei zu tun hätte. Hickey übersieht im IOC ja unter anderem auch das Ressort "Autonomie und Good Governance", er soll sicherstellen, dass die nationalen Olympiakomitees frei sind von politischen Lenkern oder Einflüsterern. Wenn die Politik im Sport mitmischt, pfui, da kennt das IOC keine Gnade, da straft es mit null Toleranz. Deswegen sind sie jetzt natürlich auch "zutiefst beunruhigt" über das, was sich in Kenia abspielt. Dort hat Sportminister Hassan Wario vor Kurzem einfach mal das Nationale Olympische Komitee (NOCK) aufgelöst, wegen dem "Fiasko von Rio", wie Sportler und Medien die kenianische Expedition zu den jüngsten Sommerspielen längst getauft haben.

Kenia hat erfolgreiche Spiele hinter sich, sie brachten 13 Medaillen mit, davon sechs goldene, erfolgreicher war in Rio keine afrikanische Delegation. Die Funktionäre hatten es allerdings auch vollbracht, eine atemraubende Zahl an Missgeschicken und Pannen aneinanderzuknüpfen. Vor Olympia hatte das NOCK Speerwurf-Weltmeister Julius Yego offenbar kein Flugticket gebucht, wie einem weiteren Dutzend Athleten. Nach den Spielen harrten mehrere Sportler, darunter Margaret Nyairera, Dritte über 800 Meter, tagelang in einer staubigen Nachbarschaft aus, in der sich rivalisierende Gangs offenbar beschossen; das NOCK entließ sie erst vier Tage nach Ende der Spiele nach Hause. Um bei den Flugkosten zu sparen, erzählten Athleten wie der Marathonläufer Wesley Korir später. Nachdem der Sportminister vor Kurzem dann das NOCK aufgelöst hatte, durchsuchte Kenias Polizei die Räumlichkeiten des NOCK. Sie stellten offenbar Dutzende Kartons mit Sportbekleidung sicher, die eigentlich für die Athleten gedacht waren. Die Zeitung Citizen berichtete, dass fünf hochrangige NOCK-Funktionäre zu Wochenbeginn vor Gericht erscheinen sollten, darunter Stephen Soi, Chef de Mission in Rio.

Und das IOC? Interessiert sich brennend für die Vorfälle. Aber weniger für den faulen Geruch von Korruption, sondern eher dafür, dass Kenias Politik im Sport ein wenig aufräumt. "Wir erinnern daran, dass unter diesen Umständen die Unschuldsvermutung gelten sollte", teilte das IOC zuletzt mit. Die freilich nur dann Gültigkeit besitzt, wenn die olympische Familie bedroht wird, von außen. Oder erinnert sich noch jemand an die Unschuldsvermutung, die das IOC Julia Stepanowa gewährte, als sie sich wegen ihrer Dienste als Kronzeugin (erfolglos) um ein Olympia-Startrecht bemühte?

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