Kommentar:Handel mit Emotionen

Kommentar: René Hofmann hat für die SZ vieles gesehen, u.a. mehr als 250 Formel-1-Rennen.

René Hofmann hat für die SZ vieles gesehen, u.a. mehr als 250 Formel-1-Rennen.

Neuerungen werden im Sport grundsätzlich skeptisch beäugt. Das gilt nicht nur für die Abschaffung der Grid Girls in der Formel 1. Doch wer sich nicht wandelt, wird abgehängt.

Von René Hofmann

Aufregende Zeiten sind das. Die Formel-1-Saison beginnt zwar erst Ende März in Melbourne. Aber bereits in dieser Woche brachte die Rennserie sich ins Gespräch wie sonst nur mit einem WM-Finale, das einen Showdown bietet. Am Mittwoch verkündeten die Rechteinhaber, künftig vor den Rennen auf sommerlich bekleidete Frauen verzichten zu wollen, die den männlichen Protagonisten mit an Stangen montierten Nummern ihren Startplatz zuweisen. Am Donnerstag setzte es den nächsten Schlag für Traditionalisten: Bei den Rennen in Europa geht es künftig nicht mehr um 14 Uhr los, sondern 70 Minuten später: 15.10 Uhr - das ist günstiger für das Geschäft auf dem US-Markt, das angekurbelt werden soll. Untersuchungen, so teilte es das Formula One Management in beinahe wissenschaftlicher Diktion mit, hätten zudem gezeigt, dass auch in Europa "ein breiteres Fernsehpublikum später am Nachmittag erreichbar ist, insbesondere in den Sommermonaten".

Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Vor allem über den Grid-Girl-Verzicht wird leidenschaftlich gestritten. Der langjährige Vermarkter Bernie Ecclestone, 87 Jahre alt, nennt die Entscheidung seiner Nachfolger "etwas prüde". Der dreimalige Weltmeister Niki Lauda, 68, spricht gar von einer "Entscheidung gegen die Frau". Ausgerechnet die Disziplin, die sich selbst gerne als futuristische High-tech-Show anpreist, führt damit vor, was im Sport besonders häufig zu beobachten ist. Erst werden Änderungen lange vehement angemahnt, kommen dann aber Neuerungen, werden diese reflexartig infrage gestellt. Da gibt es die Fans und Funktionäre, die einstimmig fordern: Der deutsche Vereinsfußball solle international doch bitte nicht den Anschluss verlieren. Werden dann aber neue Anstoßzeiten eingeführt, um mehr Geld zu erlösen, heißt es schnell: Das ist nicht mehr mein Sport.

In diese Richtung geht auch die rund um Hannover 96 geführte Debatte, wie viel Macht Investoren in deutschen Fußballvereinen erhalten sollen. Am Montag will die DFL entscheiden, ob der Geschäftsmann Martin Kind den Klub mehrheitlich übernehmen darf. Traditionalisten und Fußballromantiker gehen deutschlandweit auf die Barrikaden, und selbst in Hannover hat der mächtige Hörgerätehersteller nicht nur Fans. Andererseits: Verliert die Fußballliga ohne fremdes Geld nicht erst recht den Anschluss an die von russischen Oligarchen und chinesischen Investoren alimentierten Spitzenklubs in Europa?

Der Sport ist ein Geschäft, bei dem auch Emotionen gehandelt werden. Und weil das so ist, werden Neuerungen meist erst einmal skeptisch beäugt. Die Tischtennisspieler haben das erlebt, als sie, damit ihr Treiben am Fernsehbildschirm besser zu verfolgen ist, einen zwei Millimeter größeren Ball einführten. Bei den Eiskunstläufern brauchte es 2002 erst einen gewaltigen Betrugsskandal und die Drohung, von der Olympia-Bühne zu fliegen, um ein völlig antiquiertes und zu Absprachen geradezu einladendes Bewertungssystem abzuschaffen. Trotzdem prophezeiten damals nicht wenige: Das Ende der Traumnote 6,0 bedeutet das Ende der Sportart. So ist es dann doch nicht gekommen. Einen Boom hat das neue Punktesystem den Eiskunstläufern aber auch nicht beschert, ebenso wenig wie die größeren Bällchen den Pingpong-Künstlern neue Bewunderer brachten.

Was einen Sport wirklich auszeichnet, wie sich sein Reiz schleifen lässt und womit er beschädigt wird - das sind die Fragen. Zu jeder Sportart lassen sich dazu viele Meinungen finden, pauschale Antworten führen nur in die Irre. Eines aber darf als wirklich sicher gelten: Wer sich überhaupt nicht wandelt, wird eines Tages abgehängt.

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