Kommentar:Geist sucht Gesichter

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Nach Hamburgs Nein zu einer Bewerbung um Olympische Sommerspiele steht der organisierte Sport vor großen Fragen. Auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes geht es deshalb um viel.

Von René Hofmann

Hamburgs Nein und die Folgen: Das ist das große Thema an diesem Samstag in Hannover. Bei der obligatorischen Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes wird es das große Scherbengericht geben: Wieso lehnten die Hamburger Bürger eine Olympiabewerbung ab? Wieso drang der organisierte Sport nach der Abfuhr, die er sich 2013 mit Blick auf Winterspiele in München, Garmisch-Partenkirchen, Traunstein und Berchtesgaden eingehandelt hatte, auch im Norden mit seinem Werben um Sommerspiele nicht durch? Und welche Konsequenzen sollte er daraus ziehen?

51,6 Prozent der Hamburger stimmten mit Nein. Auf den ersten Blick ähnelt das Votum damit dem vor zwei Jahren in München: Damals wollten 52,1 Prozent Olympia nicht in der Stadt haben. Ein zweiter Blick aber offenbart, dass die Opposition dieses Mal wesentlich ernst zu nehmender ist. Anders als in München, wo die Wahlbeteiligung nur 28,9 Prozent betrug, lässt sich das Hamburger Nein nicht mit dem Argument kleinreden, dieses sei auf die Mobilisierung einer Minderheit zurückzuführen. Nein, jeder zweite Wahlberechtigte gab tatsächlich seine Stimme ab. Das waren weit mehr, als am gleichen Ort über Schulreformen abstimmen. Olympia - das Thema bewegt also schon noch. Es bewegt eben viele nur ganz anders als früher.

Lediglich in den Bezirken Bergedorf und Wandsbek fand die Bewerbungsidee Zustimmung. Alle anderen Stadtteile votierten dagegen. Die Olympia-Ablehnung hat eine breite Basis, und sie geht quer durch alle Schichten: Diese Botschaft muss alle Sportpolitiker und jeden Sportfunktionär alarmieren und jeden Profi-Sportler beschäftigen. Sie zeigt, dass womöglich weit mehr verloren gegangen ist als ein Bürgervotum.

Mit- statt Gegeneinander, gleiche Chancen für alle: Olympia verliert den Anschluss

Einige Ursachen für das Scheitern der Hamburger Bewerbung lassen sich im Rückblick relativ leicht ausdeuten: Das unklare Finanzierungskonzept. Die vielen Flüchtlinge, die der Stadt viele drängende Probleme bringen. Die Skandale des Fußball-Weltverbandes Fifa, des Deutschen Fußball Bundes DFB und des internationalen Leichtathletik-Verbandes IAAF. Die Bewerbung rein als städtebauliche Chance zu verkaufen und sie nicht noch viel enger mit prominenten, erfolgreichen und sympathischen Sportlern zu verknüpfen, war sicher eine vertane Chance. Andererseits zeigt gerade dieser Punkt das große Dilemma, an das der Leistungssport hierzulande stößt: Welche Gesichter stehen überhaupt für einen modernen olympischen Geist?

Schneller, höher, weiter! Das Motto der Spiele huldigt dem Prinzip des ewigen Wachstums. Das aber stößt in vielen freiheitlich organisierten, demokratischen Gesellschaften vielerorts zunehmend auf Kritik. Auch die Idee, dass am Ende tunlichst der Beste gewinnen solle, deckt sich nicht mehr zwingend mit der Realität in vielen komplex organisierten Arbeitsverhältnissen, wo statt des Gegeneinanders zunehmend ein Miteinander gefragt ist. Im Fußball funktioniert das Prinzip des nationalen Vergleichs im Sport noch. Bei Olympia aber erodiert das Prinzip. Aufgeklärte Nationen konkurrieren zunehmend weniger über den Medaillenspiegel miteinander und zunehmend mehr über Chancen-, Gleichberechtigungs- und Transparenz-Rankings.

Aus diesen Trends die richtigen Schlüsse zu ziehen - das ist die große Herausforderung für jeden Leistungssport, bei dem nicht nur ein Ball getreten wird. Und das keineswegs nur hierzulande. Auch in der Schweiz, in Norwegen, Schweden, Polen und den USA war die Olympia-Skepsis zuletzt so groß, dass die fünf Ringe nicht mehr willkommen waren.

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