Kommentar:Gegen den roten Faden

Der Videobeweis wird ab August auch in der Bundesliga getestet. Dennoch bleiben Zweifel, ob die Fifa 2018 die technische Unterstützung des Schiedsrichters einführt. Denn zwischen Irrtum und Betrug gibt es in der Historie viele Zusammenhänge.

Von Thomas Kistner

Gute Kunde aus dem Fußball, der Videobeweis kommt. Still und leise schleicht sich etwas sehr Exotisches ins schillernde Profigeschäft: Seriosität. Wie groß der Handlungsdruck selbst in der Bundesliga ist, die zu den vertrauenswürdigeren Spielbetrieben zählt, hat nun der DFB selbst dargelegt. In den Spielen bis zur Winterpause gab es 44 Fälle für den Videoassistenten; nach Studium der Bilder hätten 33 Fehlurteile aufgeklärt werden können, gab der Verband zu.

Es geht hier um gravierende Fälle. Tatsächlich zeigt sich die Bedeutung des Kamera-Auges an Beispielen wie dem dreisten Handspiel des Bayern-Verteidigers Martínez gegen Leverkusens Volland, das der Referee übersah: Es hätte Rot geben müssen und einen Strafstoß, der kurz vor Schluss zum 2:2 hätte führen und der Liga mehr Spannung bescheren können.

Solch glasklare Fehler sind sehr ärgerlich. Unerträglich ist aber, dass sie traditionell gefördert werden. Dass also just der Fußball, der reichste und manipulationsanfälligste Sport des Globus, den Videobeweis bisher gescheut hat wie der Teufel das Weihwasser. Dass er seine Referees künstlich dumm hält und mögliche Manipulationen nicht auf sicherstem Wege bekämpft - das alles wirft ja Fragen auf.

Solange eine Milliardenbranche gnadenlos mit dem Irrtum kalkuliert, ist der menschliche Makel auch ein Instrument darin. Ohne Videobeleg, nur mit Verweis auf die geltende Unfehlbarkeit des Referees, ließ sich bisher sogar der abstruseste Fehler verteidigen.

Kaum Zufall ist, dass sich die Irrtümer vor allem dort häufen, wo traditionell eine von Verbänden und Klubs organisierte Spielmanipulation vorherrscht; in der Türkei, in Griechenland und anderswo. Kaum ein Zufall auch, dass die Fehlleistungen der Referees über Jahre eine klare Tendenz zugunsten attraktiverer Teams aufweisen. Das mag der Furcht mancher Spielleiter geschuldet sein, sich den Groll populärer Teams und ihrer Fans zuzuziehen. Daneben gibt es aber auch erkennbare rote Fäden: von den an Spielbetrug grenzenden Fehlpfiffen zugunsten des WM-Veranstalters Südkorea 2002 über den bizarren Elfmeter, der Brasilien den wichtigen Sieg im WM-Eröffnungsspiel 2014 zu Hause gegen Kroatien sicherte, bis zum atemberaubend klaren Handspiel Thierry Henrys, das Frankreich gegen Irland das Tor zur WM 2010 öffnete.

Denjenigen, die solche Vorgänge für Fußballromantik halten, sei gesagt: Fehler und Debatten wird es trotz des Video-Assistenten geben, der aktuell in Deutschland offline getestet und ab der neuen Saison angewendet wird. Vier Schlüsselsituationen stehen dann im Fokus: Tore, Elfmeter, rote Karten und Spielerverwechslungen bei Karten-Strafen. Gewiss, manche strittige Szene wird bleiben. Aber eher keine spielentscheidende Kapriole, die Millionen TV-Zuschauer als solche erkennen, nur exklusiv der Schiedsrichter nicht.

Im März 2018 will der Weltverband Fifa endgültig über den Einsatz der Videotechnologie entscheiden. Vor der WM in Russland - weshalb leider ein Fragezeichen bleibt. Denn die alten, fehlerhaften Verhältnisse, von denen die WM-Veranstalter der letzten Dekaden profitierten, haben sich stets als besonders effektiv erwiesen, wenn die Gastgeberteams nicht zu den starken Teams ihrer Zeit zählten.

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